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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Glimm­stengel zwischen den Fingern ertappt. Sie inhaliert lang und tief. Ich lasse sie in Ruhe zu Ende rauchen, atme derweil heimlich den betörenden Duft des verbrannten Tabaks ein.
    Â»Es ist nicht mehr weit bis zum Camp«, verkündet sie.
    Â»Ich wollte schon verzweifeln. Ich kann kaum noch schlafen, seit ich weiß, dass wir im Darfur sind.«
    Â»Heute Nacht können Sie wirklich ruhig schlafen. Wir sind außer Gefahr. Die Gegend ist mehr oder weniger sicher.«
    Â»Mehr oder weniger?«
    Â»Naja, die Rebellen und Verbrecherbanden haben sich aus diesem Teil des Darfur zurückgezogen, seitdem die Afrikanische Union ihre Streitkräfte hierher entsandt hat.«
    Â»Freut mich, das zu hören.«
    Â»Sobald wir im Camp angelangt sind, werden wir die Behörden in Kenntnis setzen, dass Sie wohlauf sind. Wenn alles glattläuft, sind Sie binnen einer Woche wieder in der Heimat.«
    Â»Warten wir erst einmal ab, bis wir wirklich im Camp sind. Dieses Land hat mich abergläubisch gemacht.«
    Sie lacht mit zuckenden Grübchen, die die Feinheit ihrer Züge noch betonen.
    Â»Aus welcher Stadt kommen Sie, Herr Krausmann?«
    Â»Aus Frankfurt … Sie können ruhig Kurt zu mir sagen.«
    Â»Gern, wenn Sie mich Elena nennen.«
    Â»Gut, also Elena. Ein schöner Name … Bist du aus Madrid?«
    Â»Aus Sevilla …«
    Â»Ich liebe Sevilla. Ich war schon öfter dort. Eine phantastische Stadt, und die Einwohner sind so gastfreundlich.«
    Â»Ach, ich war schon seit Jahren nicht mehr da. Meine Eltern wohnen in Valencia. Sie führen ein kleines Restaurant an der Küste … Hast du Kinder?«
    Â»Meine Frau wollte keine. Naja, sie hatte es jedenfalls nicht eilig damit. Ihre Arbeit hat ihr dafür keine Zeit gelassen.«
    Â»Sie ist auch Ärztin?«
    Â»Nein, sie war im Marketing … Und du? Hast du Kinder?«
    Â»Meine Patienten sind sehr eifersüchtig. Sie dulden keinen unlauteren Wettbewerb.«
    Ihre Augen funkeln mich an wie zwei Juwelen. Ich lasse sie in aller Ruhe ihren Kaffee austrinken und an ihrer Zigarette ziehen, bevor ich sie frage, ob ihre Patienten denn exzessiv possessiv seien. Sie brütet lange über meiner Frage, scheint zu erraten, was ich meine, zieht eine entzückende Augenbraue hoch, hat aber keine Zeit mehr, mir zu antworten. Einer der Pfleger erscheint mit verlegener Miene. Unnötig, dass er den Mund aufmacht. Elena hat schon verstanden. Wieder einmal ruft die Pflicht , und unser Gespräch wird genau in dem Moment unterbrochen, in dem es interessant zu werden verspricht. Sie winkt mir kurz zu und steht auf. Ich biete ihr meine Hilfe an, doch sie rät mir, mich lieber auszuruhen, denn, so sagt sie, die letzte Etappe sei oft die härteste. Ihre Hand streift flüchtig meine Schulter. Fast hätte ich meine Wange darauf gelegt. Aus purem Reflex. Was ihr keineswegs entgangen ist. Schleunigst eilt sie hinter dem Krankenpfleger her. Mir bleibt das Nachsehen …
    Danach habe ich kein Auge mehr zugetan. Und nicht etwa wegen der Gefahr.

III.
Rückwege
    1.
    Wir erreichen das rettende Camp bei Einbruch der Nacht. Kreuzlahm und in einem mehr als desolaten Zustand. Die Alten brechen schon in der Toreinfahrt zusammen, müssen einzeln aufgesammelt werden. Die Frauen und Kinder schwanken durch den Staub, sind nur mehr Haut und Knochen, in Lumpen gehüllt, stammelnd vor Hunger und Durst. Unterwegs haben wir noch zwei weitere Gefährten verloren und die Fußkranken reihum mitgeschleift. Da kommen die ersten Krankenpfleger angerannt. Werden Sanitätsliegen aufgeklappt. Niemand im Lager hatte mit einer solchen Ankunft gerechnet. Nichts ist für den Fall des Falles vorbereitet. Elena versucht noch, die Hilfsmaßnahmen zu koordinieren, doch im Nu sind ihre letzten Kalorien verbraucht, und sie gibt auf. Ein hochgewachsener, schlaksiger Mann kommt über den Innenhof des Camps auf uns zu, der Leiter, wie sich herausstellt. Er dürfte um die sechzig sein, Knollennase, leicht gebeugte Schultern, und überragt uns um Kopfeslänge. Seine Stentorstimme tönt wie ein Peitschenschlag, ganz im Kontrast zu seinen sanften Bewegungen, seiner freundlichen Art. Zuerst erteilt er dem Personal seine Anweisungen, trägt den Krankenpflegern auf, vorrangig Alte und Kinder zu versorgen, ordnet die Zubereitung warmer Mahlzeiten und das Aufstellen zweier Zelte an; dann, nachdem die Familien untergebracht sind und wieder

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