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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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irgendwann meine Stadt und mein Land wiederzusehen.«
    Â»Mhm …«, macht sie, hilflos gegenüber meinem Gefühlsausbruch.
    Aus einem Gebüsch dringt plötzlich lautes Wehklagen. »Die Pflicht ruft!« Schon springt die spanische Kollegin auf, gerettet vom Gong … Meine Gemütsaufwallung kam völlig überraschend für sie, und sie bereut, sie entfesselt zu haben. Ich kann ihr das nicht verübeln. Ich bin ja wütend auf mich selbst, mich derart stoffelig gegenüber einer Frau benommen zu haben, die doch eigens gekommen ist, um mich aufzumuntern. Als ob sie mit ihrer Flüchtlingshorde nicht schon genügend Scherereien hätte! Muss ich da auch noch meinen Groll bei ihr abladen? Sie wirft mir einen enttäuschten Blick zu und hastet auch schon den Hang hinunter. Erst als sie um die Kurve biegt, geht mir auf, dass ich ihr wenigstens meine Hilfe hätte anbieten sollen, um meinen Patzer wiedergutzumachen.
    Da erscheint Bruno, um mir auf dem Felskamm Gesellschaft zu leisten. Zu zweit beobachten wir die ausgemergelten Figuren, die durchs trockene Flussbett wuseln, wo sie nach einem Schlafplatz suchen oder Angehörige versorgen, denen unser Gewaltmarsch nicht gut bekommen ist. Ich sehe überall menschliche Wracks, an deren Fersen die Ironie eines Schicksals klebt, das sie verschont hat, und in deren Gesichtern dennoch eine eigentümliche Gewissheit steht, die weder ihren Gebeten noch einer Zukunft ähnelt, sie aber ans Leben anzukoppeln scheint wie an eine Schwachstromquelle. Es sind bizarre Avatare – welcher Sinn lässt sich in ihrem Martyrium erkennen? Ich versuche, gute Gründe für ihr Überleben zu finden, und finde keinen einzigen. Diese Leute sind Habenichtse, am Ende ihrer Kraft; ihre Zukunft ähnelt einem Minenfeld, und trotzdem klammern sie sich, warum auch immer, an alles und jedes, um durchzuhalten. Woher nehmen sie diese Energie? Woher den Glauben an den nächsten Tag, der so elend daherkommt wie sie selbst? Sie wissen doch, dass morgen nichts anderes auf sie zukommt als das, was sie gestern durchlitten haben. Dass das Mühlrad ihrer Mühsal niemals stillsteht und dort, wo Menschen wüten, die Götter resignieren. Sie wissen so vieles und tun, als wäre nichts, ignorieren die Tatsachen und halten jenseits von Gut und Böse Ausschau nach einer Illusion, nach der sie greifen könnten, und wäre sie auch aus Asche oder Rauch.
    Â»Tja, so ist Afrika«, bemerkt Bruno, als könnte er meine Gedanken lesen.
    Â»Das erklärt doch nicht eine solche Beharrlichkeit.«
    Â»Da irrst du, mein Freund. Diese Menschen wollen leben.«
    Â»Ach was, wovon denn?«
    Â»Das ist nicht die Frage. Sie wollen leben, das ist es; bis zum Ende leben … Ich treibe mich seit Jahrzehnten auf diesem Kontinent herum. Ich kenne seine Laster, seine Niederlagen, seine Härten, aber nichts kann seine Lebensgier schmälern. Ich habe Menschen gesehen, denen klebte die Haut an den Rippen, Menschen, die schon nicht mehr wussten, wie Essen schmeckt, und Menschen, die man den Straßenkötern und Geiern zum Fraß vorwarf, aber nicht einer war willens aufzugeben. Sie sterben des Nachts, und am Morgen erstehen sie wieder auf, ohne vor der Plackerei zurückzuschrecken, die sie erwartet.«
    Â»Und du findest das toll?«
    Â»Das ist doch faszinierend, oder?«
    Â»Seltsam, ich kann darin nur eine unfassbare Tragödie sehen und nichts von dem, was du da hineininterpretierst.«
    Â»Afrika kann man nicht sehen, man muss es fühlen.«
    Â»Es fühlt sich grässlich an. Und stinkt zum Himmel.«
    Ich habe ihn verärgert. Bruno mit seiner übergroßen Empfindsamkeit betrachtet jede Meinungsverschiedenheit als Kriegserklärung. Aber ich habe keine Lust einzulenken. Ich bin mir sicher, dass er weiß, wie es gemeint war. Afrika stinkt wirklich zum Himmel. Seine Luft ist verpestet von den Ausdünstungen der Massengräber, dem Muff seiner Gefängnisse und dem Geruch der Massaker. Das ist so offenkundig, dass er es nicht leugnen oder abstreiten kann. Es bringt ja nichts, vor dem Grauen die Augen zu verschließen, wenn man es aus der Welt schaffen will. Bruno muss doch einmal einsehen, dass seine Überzeugungen keine unumstößlichen Wahrheiten sind. Dass er einen ganz gewaltigen Knick in der Pupille hat. Eben das ist ja auch mein Kritikpunkt an ihm: dieser naive Silberblick, der sein Verhältnis zu allem, was

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