Die Landkarte der Liebe
Bitte nicht! Nicht das Tagebuch! Muss ich dich denn ein zweites Mal verlieren?
In der Rezeption wurde die Luft immer stickiger. Katie konnte nur mit Mühe atmen, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr wurde schwarz vor Augen â und plötzlich drängte sie sich durch die Menge nach drauÃen. An der Schwelle stolperte sie, stürzte und fiel auf die dunkle StraÃe. Sie schlug mit dem Knie auf, es brannte höllisch.
Sie hörte ein leises Prasseln, wie Regentropfen. Katie schaute auf den Boden. Ihre Kette war gerissen, die Perle und die winzigen Muscheln waren überall verstreut und kullerten davon.
Kapitel 20
Mia
Bali, Februar
Das Taxi röhrte durch eine dunkle Gasse und blieb dann abrupt stehen. »Hier ist es«, sagte der Fahrer und zerrte an der Handbremse. »Einziges Hostel in Nyang. Zwei Minuten zu den Wellen.«
Ein Schild mit Nyang Palace lehnte auf einem Plastikstuhl. An der rissigen AuÃenwand blätterte die Farbe ab, über dem Eingang flackerte ein Neonlicht, das einen ganzen Schwarm Moskitos angelockt hatte. Mia konnte nur hoffen, dass Noah hier gelandet war. Sie bezahlte das Taxi, trat auf den Bürgersteig und schwang sich den Rucksack über eine Schulter.
Die Luft war schwer und stickig, die hohen Gebäude ringsum speicherten die Hitze des Tages. Es roch nach Gewürzen und etwas fremdartig SüÃem wie karamellisierter Honig. Hinter Mia erklangen Schritte. Sie drehte sich um. Ein älterer Mann zog einen Karren mit Schmuck und allerlei Schätzen aus Muscheln und blieb stehen, als er bemerkte, dass Mia Interesse zeigte.
Sie ging zum Wagen. Eine Kette aus weiÃen Muscheln mit einer einzelnen weiÃen Perle zog sie an. Sie nahm sie in die Hand. Sie war ganz zart und leicht. »Haben Sie das selbst gemacht?«
»Ja.«
»Sie ist wunderschön.«
Auf seinem Gesicht erschien ein breites Lächeln. »Ja, sehr schön. Danke. Muscheln von Bali-Stränden.«
Mia musste beim Anblick der Kette daran denken, wie sie als Kinder über den Strand gelaufen waren, auf der Suche nach Muscheln und Strandglas. Der Herbst war die beste Jahreszeit, wenn die schweren Stürme das Meer aufwühlten und Treibholz, ausgebleichte Taue und glatt geschliffene Steine ans Ufer spülten. An kalten Abenden, wenn das Tageslicht schon um vier Uhr nachmittags verblasste, hatten sie im Schneidersitz vor dem KaminÂofen gesessen und ihre Ausbeute zu Ketten verarbeitet. Sobald Mia eine anlegte â auch wenn sie unter Schal und Mantel verborgen war â, war es so gewesen, als würde sie den Sommer mit sich tragen.
»Wie viel kostet die?«
»Fünfzehntausend Rupiah.« Er lächelte und nickte.
Das entsprach einem Pfund. »Ich hätte sie gern.« Mia drückte ihm die doppelte Menge Scheine in die runzelige Hand und sagte: »Einen schönen Abend noch.« Dann betrat sie das Hostel, die Kette baumelte an ihren Fingern.
Die Rezeption bestand aus einem zerkratzten Holztisch, der den Eingang in das Wohnzimmer der Besitzer blockierte. »Hallo?«
Eine Tür ging auf, eine Frau in einem alten Nachthemd stolperte heraus.
»Tut mir leid, dass es so spät ist. Haben Sie noch ein Zimmer frei?«
Mia bekam ein winziges Kämmerchen, dessen Einrichtung allein aus einem Bett, einem Moskitonetz und einem wackeligen Bambustisch bestand. Bevor die Besitzerin wieder ging, fragte Mia noch: »Wohnt hier jemand namens Noah?«
»Terrasse«, sagte sie und wies nach oben. »Die Leute machen Party auf Terrasse. Oder Strand. Viele Strandfeuer für Touristen.«
Mia lieà den Rucksack fallen. Einen Spiegel gab es nicht, und so fuhr sie sich blind mit den Händen durch das Haar und löste einige Knoten. Sie trug auch kein Make-up, befeuchtete sich nur rasch die Lippen und blinzelte mehrmals, weil sich ihre Augen nach dem langen Flug so trocken wie Papier anfühlten.
Sie verlieà das Zimmer und folgte dem fensterlosen Korridor bis an dessen Ende. Eine schwere Feuertür führte zu einer AuÃentreppe. Die Metallstufen schepperten unter ihren Schritten, und sie klammerte sich fest an das Geländer.
Von der Terrasse her erklangen laute Musik und Gelächter. Mia blieb stehen und lauschte. Es war schwierig, etwas aus dem Stimmengewirr herauszuhören, aber Mia glaubte, den einen oder anderen australischen Akzent zu erkennen. Ihr Herz schlug schneller. Gleich würde sie Noah sehen. Und obwohl die Art
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