Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
versteckte. Obwohl er es nicht hatte erkennen lassen,
     beeindruckte ihn die brutale Art, mit der Gilliam sein Marionettentheater am Laufen hielt. Für einen Unternehmer wie ihn war
     es natürlich überlebenswichtig, nur Leute für sich arbeiten zu lassen, die den Mund hielten. Das wäre zwar durch gute Bezahlung
     zu erreichen gewesen, aber Drohungen und Gewalt schienen doch die wirksameren Mittel zu sein. Zu erfahren, dass Gilliam ohne
     Zögern zu derartigen Mitteln griff, ließ Wells einen kalten Schauer über den Rücken rinnen, denn schließlich war dieser Kerl
     sein Feind, das hieß, er benahm sich wenigstens so. Er starrte verdrossen auf das Flugblatt, das er ihm jede Woche ins Haus
     schickte. Sosehr ihn das alles abstieß, musste Wells doch zugeben, dass er selbst schuld daran war. Ja, ZEITREISEN MURRAY
     gab es nur seinetwegen, wegen der Entscheidung, die er getroffen hatte.
    Er war Gilliam Murray nur zweimal begegnet, aber manchmal brauchten Männer nicht mehr, um zu Feinden zu werden. Gilliam war
     so einer, wie Wells gleich hatte feststellen können. Die erste Begegnung hatte eines Nachmittags |446| im April in ebendiesem Raum stattgefunden, erinnerte er sich und starrte angewidert auf den Ohrensessel, in den Gilliam Murray
     seinen gewaltigen Körper gezwängt hatte.
    Seit er vor der Tür gestanden und ihm schleimig lächelnd seine Visitenkarte überreicht hatte, war Wells beeindruckt von diesem
     gewaltigen Körper, noch mehr jedoch davon, mit welcher leichten Eleganz er sich bewegte; als wären seine Knochen aus biegsamem
     Rohr. Wells hatte ihm gegenüber Platz genommen, und die beiden Männer musterten sich höflich, während Jane den Tee servierte.
     Kaum hatte Jane das Zimmer verlassen, wurde das Grinsen des Gastes noch breiter, er dankte Wells, dass dieser ihn empfangen
     hatte, und dann überschüttete er ihn ansatzlos mit einer wahren Lawine überschwänglichen Lobes über den Roman
Die Zeitmaschine
. Es gibt aber Menschen, deren Lob nichts anderes ist als die wenig verbrämte Herausstellung der eigenen Sensibilität und
     Intelligenz, und so eine Sorte Mensch war Gilliam Murray. Er lobte den Handlungsstrang und dessen dichte Struktur, die Kraft
     der Bilder und sogar die Farbe des Anzugs, die Wells für seinen Protagonisten gewählt hatte, derweil der Schriftsteller höflich
     zuhörte und sich fragte, warum jemand einen ganzen Vormittag damit verplemperte, ihn derart vollzuschwatzen, anstatt seine
     Lobeshymne in Form eines Briefes abzufassen, wie das seine anderen Bewunderer taten. Er ließ die glühende Rede unbehaglich
     nickend über sich ergehen wie jemand, der im Nieselregen geht, und hoffte im Stillen, dass der Besucher bald zum Ende käme
     und er wieder an seine Arbeit gehen könnte. Dann jedoch erkannte er voller Schrecken, dass dies nur das Vorspiel zum eigentlichen
     Anlass des Besuchs |447| war. Denn kaum hatte Gilliam seine Lobrede beendet, zog er ein dickes Manuskript aus seiner Aktentasche und überreichte es
     Wells so behutsam, als handelte es sich um eine seltene Reliquie oder ein neugeborenes Kind.
Hauptmann Derek Shackleton – die wahre und erschütternde Geschichte eines Helden aus der Zukunft
, las Wells verblüfft. Jetzt erinnerte er sich nicht einmal, wie die Verabredung für eine Woche später zustande gekommen war,
     nachdem der Riese ihm das Versprechen abgenommen hatte, das Manuskript zu lesen und, wenn es ihm gefiele, Henley zu empfehlen.
    Lustlos begann Wells in dem Manuskript zu lesen, das ihm so unerwartet in die Hand gegeben worden war. Er tat dies in dem
     sicheren Gefühl, dass ihn nichts von dem würde interessieren können, was dieser aufgeblasene Kerl geschrieben hatte. Er irrte
     sich nicht. Je länger er das eitle Geschreibe las, desto größere Langeweile bemächtigte sich seines Geistes, und er schwor
     sich, niemals wieder einen Bewunderer zu sich nach Hause einzuladen. Gilliam hatte ihm ein prätentiöses, überladenes Machwerk
     dagelassen, welches, wie so viele andere sogenannte Zukunftsromane, von denen die Schaufenster der Buchläden überquollen,
     mit billigen Spekulationen am Erfolg seines eigenen Buchs anzuknüpfen suchte. Wells hatte keines dieser Werke gelesen, aber
     Henley hatte ihm bei einem Abendessen einmal erzählt, welch heiterer Unsinn darin zum Blühen kam, und als Beispiel den New
     Yorker Autor Luis Senarens genannt, in dessen Romanen es von Luftschiffen wimmelte, mit denen die Romanhelden die entferntesten
     Gegenden des

Weitere Kostenlose Bücher