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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Leidenschaft hinzugeben. Er könnte ihnen erklären, was es hieß, den Kopf zu verlieren, im Fieberwahn zu brennen.
     Er könnte ihnen sagen, wie die Liebe von innen aussah, denn er hatte sie aufgebrochen wie eine Frucht, geöffnet wie einen
     Uhrendeckel, um den Mechanismus zu ergründen, der darunter verborgen war, das Räderwerk, welches dafür sorgte, dass die Zeiger
     die Zeit zerstückelten. Andrew konnte ihnen jedoch weder davon noch von irgendetwas anderem erzählen, da sein Vater jetzt
     cholerisch schnaufend und schwankenden Schritts, dabei den Teppich fast mit seinem Handstock löchernd, den Raum durchquerte,
     vor ihm stehenblieb und ihm eine schallende Ohrfeige gab. Andrew taumelte ob dieses unerwarteten Schlags ein paar Schritte
     rückwärts. Als er begriff, was geschehen war, strich er sich über die schmerzende Wange und setzte wieder sein herausforderndes
     Lächeln auf. Einige Sekunden lang, die den Anwesenden wie eine Ewigkeit erschienen, starrten sich Vater und Sohn in die Augen,
     bis Ersterer sagte:
    «Ab jetzt habe ich nur noch einen Sohn.»
    |83| Andrew versuchte, sein Gesicht möglichst ausdruckslos erscheinen zu lassen.
    «Wie du willst», sagte er kalt. Dann wandte er sich mit einer angedeuteten Verbeugung an die Übrigen. «Gentlemen, wenn Sie
     mich entschuldigen, ich muss jetzt für immer von hier verschwinden.»
    Er drehte sich mit der stolzesten Haltung, deren er fähig war, um und verließ das Zimmer. Die nächtliche Kälte erfrischte
     ihn. Im Grunde, sagte er sich, während er die Treppe hinunterschritt und nicht zu stolpern versuchte, war das, was geschehen
     war, das unerwartete Publikum ausgeschlossen, die Ohrfeige jedoch eingeschlossen, nichts anderes als das, was er erwartet
     hatte. Sein beleidigter Vater hatte ihn enterbt. Vor den Augen der angesehensten Unternehmer Londons und dazu noch eine Demonstration
in situ
eines seiner berüchtigten Zornesausbrüche, der diesmal, ohne das geringste Zeichen von Reue, über den eigenen Sohn niedergegangen
     war. Andrew besaß jetzt nichts mehr, nur noch seine Liebe zu Marie Kelly. Hatte er vor diesem katastrophalen Gespräch noch
     eine winzige Hoffnung gehegt, sein Vater könne sich von seiner Geschichte rühren lassen und nachgeben, vielleicht sogar zulassen,
     dass er die Geliebte bei sich wohnen ließ, um sie so weit wie möglich von dem Unhold fernzuhalten, der Whitechapel unsicher
     machte, so war jetzt vollkommen klar, dass sie beide ganz auf sich gestellt sein würden. Er stieg in die Kutsche und befahl
     Harold, zu Miller’s Court zurückzufahren. Der Kutscher, der den Ausgang des Dramas abgewartet hatte, indem er im Kreis um
     die Kutsche herumgelaufen war, kletterte nun wieder auf den Bock, ließ die Pferde loslaufen und versuchte sich vorzustellen,
     wie |84| es im Haus zugegangen war. Zu seinen Gunsten müssen wir anmerken, dass er mit den wenigen Anhaltspunkten, die er besaß, die
     Ereignisse im Haus zu einem erstaunlich wirklichkeitsnahen Geschehen zusammenfügte.
     
    Als die Kutsche an der gewohnten Stelle hielt, sprang Andrew hinaus und lief in Richtung Dorset Street, voller Ungeduld, Marie
     Kelly in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, wie sehr er sie liebte. Für sie hatte er alles aufgegeben. Trotzdem bemitleidete
     er sich nicht, spürte nur eine leichte Unsicherheit in Bezug auf seine Zukunft. Aber zusammen würden sie es schaffen. Er war
     sicher, dass er auf Charles zählen konnte. Sein Cousin würde ihm genügend Geld vorstrecken, damit sie sich in Vauxhall oder
     Warwick Street eine Wohnung mieten könnten, zumindest so lange, bis sie eine anständige Arbeit gefunden hätten und allein
     über die Runden kämen. Marie Kelly könnte in einer Schneiderwerkstatt arbeiten, und er   … was konnte er? Egal; er war ein kräftiger junger Mann, irgendwas würde er schon finden. Was zählte, war allein, dass er
     sich seinem Vater entgegengestellt hatte. Was dabei herausgekommen war, war nicht so wichtig. Wortlos hatte Marie Kelly ihn
     angefleht, sie aus Whitechapel hinauszubringen, und genau das würde er tun, mit oder ohne fremde Hilfe. Sie würden von dort
     fortgehen, raus aus diesem verfluchten Viertel, diesem Vorhof der Hölle.
    Vor dem Torbogen zu Miller’s Court blieb er keuchend stehen und schaute auf die Uhr. Es war fünf Uhr morgens. Marie Kelly
     würde schon wieder in ihrem Zimmer sein, wahrscheinlich genauso betrunken wie er selbst. Es würde sicher lustig, sich so alkoholumnebelt
     zu

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