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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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hat, wie Charles behauptet?»
    «Aber Claire!», protestierte Shackleton.
    «Ich glaube, du solltest es versuchen, Derek», beharrte Claire mit flehendem Blick.
    Shackleton schaute ihr stumm in die Augen, während wir alle mit bebendem Herzen seinen Entschluss erwarteten.
    «Einverstanden, Claire. Ich will es versuchen», sagte er.
    «Großartig!», rief ich in die Runde, und alle applaudierten, fielen sich sogar vor Begeisterung in die Arme. «Wir fahren ins Jahr 2000 !»
    Ich sah, wie Harold sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte, während die anderen sich glücklich auf die Schultern klopften, als hätte ihre Mannschaft das wichtigste Spiel des Jahres gewonnen. Nur meine Frau stand bockig abseits, der allgemeine Trubel schien sie nicht zu berühren.
    «Ich komme auch mit», sagte Andrew dann, zutiefst aufgewühlt.
    «Nein, mein lieber Cousin», antwortete ich lächelnd. «Der Hauptmann und ich gehen allein. Da draußen ist es gefährlich. Hauptmann Shackleton hat eine Mission zu erfüllen, vergiss das nicht. Er muss die Invasion beenden, und die Zukunft wird uns zeigen, ob er es schafft. Deswegen kann er nicht sterben, jedenfalls nicht, bevor er es geschafft hat. Das gilt aber nicht für die, die ihn begleiten. Bleib du also lieber hier und kümmere dich um die Frauen. Ich bin sicher, die reizenden Keller-Schwestern würden es nicht ertragen, gleichzeitig zu Witwen zu werden», fügte ich scherzend hinzu. Mein Cousin wollte protestieren, doch ich hielt ihn mit einer versöhnlichen Geste davon ab. Dann wandte ich mich an den Kutscher.
    «Harold, spannen Sie die Pferde an.»
    Der Kutscher warf einen kurzen Blick zu Andrew, der unmerklich nickte.
    «Die Kutsche wird in fünf Minuten abfahrbereit sein, Mister Winslow», sagte er.
    «Machen Sie es in zwei», entgegnete ich lächelnd.
    Als er davonging, verabschiedeten wir, die wir dieses tollkühne Unternehmen – welches dennoch erfolgreich sein würde – durchzuführen gedachten, uns von denen, die im Kellerversteck zurückbleiben würden. Claire beschwor Shackleton, vorsichtig zu sein, und ich sagte Andrew, er solle auf die anderen aufpassen, so gut er könne. Victoria kam nicht zu mir; sie schüttelte bloß enttäuscht den Kopf, und ich wandte mich achselzuckend ab. In diesem Austausch stummer Vorwürfe bestand unser Abschied. Sie verstand nicht, dass ich den Planeten zu retten versuchte, und ich wusste nicht, dass ich sie niemals wiedersehen würde. Aber auch wenn ich es gewusst hätte: Hätte ich anders gehandelt?

XXXII
    Charles blies behutsam über den letzten Absatz, damit die Tinte trocknete. Über zwei Jahre waren vergangen, seit er seine Frau zum letzten Mal gesehen hatte, und jetzt tat es ihm in der Seele weh, dass er seinen Stolz nicht überwunden und sich nicht von ihr mit einem romantischen Kuss verabschiedet hatte, wie die Situation es nahegelegt hätte, oder wenigstens mit einer zärtlichen Umarmung, die mehr oder weniger aufrichtig gewesen wäre.
    In diesem Moment hörte er das fiepende Geräusch eines Nagetiers, das von seinem Halsband ausging, und unmittelbar darauf spürte er das bekannte Kribbeln, das genau an der Stelle einsetzte, wo sich das seltsame Band mit Hilfe feinster Saugnäpfe etwa auf Höhe des vierten Halswirbels in seine Haut gegraben hatte. Es fühlte sich an, als würde ihn eine Zecke beißen. Sekunden später war es ein Strom glühenden Metalls, der seinen Rücken hinunterrann und das Knochenmark zu verflüssigen schien, sich in seine Beine verteilte und dort zu reißenden Krämpfen führte. Charles presste die Zähne aufeinander, bis die Folterqual vorüberging und Bauchschmerzen, ein taubes Gefühl im ganzen Körper und zitternde Beine hinterließ. Zum Glück dauerte der Elektroschock nur wenige Sekunden, und mit der Zeit hatte er sich beinahe sogar an ihn gewöhnt. Bei den ersten Malen hatte er noch gedacht, der Feuerschweif, der durch seinen Körper peitschte, müsse das Knochenmark und sämtliche Eingeweide zum Schmelzen bringen, doch dann hatte die Tortur keine weiteren Folgen gehabt als ein paar zertrümmerte Backenzähne infolge des heftigen Aufeinanderschlagens seiner Zähne sowie eine gewisse Peinlichkeit für den Rest seines Lebens, da die Elektroschocks seinen Schließmuskel derart erschlaffen ließen, dass er mehr als einmal schon mit beschämendem Ballast in seiner zerschlissenen Hose zur Arbeit gewankt war.
    Mit diesem kindischen Auftrumpfen verkündete ihm das fiepende Halseisen jedes Mal, dass er

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