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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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weiter für billige Vergnügungen rauswerfen wollte. Ich wollte die stille Illusion genießen, die es mit sich bringt, wenn man mit jemandem Zukunftspläne schmieden kann. Wie man sieht, lagen Welten zwischen meiner erbärmlichen, eigennützigen, falschen Art zu lieben und der des Unternehmers Gilliam Murray. Als mir das klarwurde, zerfloss ich fast vor Selbstmitleid. Ich würde diese Welt verlassen, ohne einen Menschen wahrhaft geliebt zu haben; und was noch schlimmer war: Die Liebe all der Frauen, die mich geliebt hatten, hatte ich verachtet.
    Die Unfähigkeit zur Liebe war Bestandteil meines Lebens. War es immer noch, denn seit wir die Villa meines Onkels verlassen hatten, war ich nur darauf bedacht gewesen, eine Möglichkeit zu finden, die Invasoren zu vernichten und die Menschheit zu retten, was ja ein recht vages Projekt war, denn die Menschheit konnte man nicht umarmen, nicht in seinem Bett haben, nicht anlächeln. Wen also wollte ich tatsächlich retten? Niemand, dachte ich voller Schrecken und unendlicher Trauer. Niemand im Besonderen. Natürlich wollte ich, dass meine Frau nicht den Tod fand, ebenso wenig mein Cousin Andrew und dessen Frau; aber nicht ihret-, sondern meinetwegen, weil ich darunter gelitten hätte, wenn sie plötzlich nicht mehr da wären. Deshalb flüchtete ich mich in die abstrakte Idee von der Menschheit. Was würde ich darum geben, wenn es irgendwo auf der Welt einen Menschen gäbe, dessen Tod mir wirklich etwas bedeutete, mich mehr betrüben würde als der Gedanke ans eigene Sterben. Aber einen solchen Menschen gab es nicht, musste ich erkennen, da es unter allen Menschen auf der Welt keinen einzigen gab, den ich selbstlos liebte. Die Kampfmaschinen metzelten meine Mitmenschen dahin, aber ich konnte für den Einzelnen nichts empfinden. Es gab einfach keinen, der die anderen überstrahlte, so wie Claire für Shackleton strahlte oder Emma für Murray. Mich bekümmerte nur, dass die Gesamtheit ausgelöscht werden sollte, in der der Einzelne aufgehoben war, aber auch verschwand: die Menschheit, der auf eine so ehrlose Weise auch ich angehörte.
    Meine Augen füllen sich immer noch mit Tränen, wenn ich an diesen Moment zurückdenke, obgleich ich damals wahrscheinlich nur eine spöttische Grimasse angesichts meiner neuen Sensibilität zuwege brachte. Auch wenn meine Hand so zittert, dass es mich Mühe kostet, leserlich zu schreiben, möchte ich nicht versäumen, dem Leser zu versichern, dass ich die letzten Geschehnisse keinesfalls deswegen so detailliert geschildert habe, weil ich darstellen wollte, welche Offenbarung es für mich war, die Bedeutung wahrer Liebe kennengelernt zu haben. Ich habe es vielmehr getan, um deutlich zu machen, welch edle und erhabene Empfindungen die vornehmsten Exemplare der menschlichen Rasse hervorzubringen vermögen. Vielleicht ist Liebe ein auch anderen Lebewesen des Universums bekanntes Gefühl; aber die Liebe, wie der Mensch sie empfindet, ist einzigartig, und wenn er stirbt, stirbt sie mit ihm. Darum wird das Universum trotz seiner unergründlichen Weite, trotz seiner scheinbaren Endlosigkeit immer unvollständig bleiben. Und wenn das geschieht, mögen meine Worte – die Worte eines Menschen, der nie zu lieben wusste – dazu angetan sein, die Liebe im Herzen dessen zu entzünden, der sie liest.

XXXV
    Am nächsten Morgen schickten die Marsmenschen Charles und eine Handvoll anderer Männer zum Arbeiten ins Innere der Pyramide. Es war das erste Mal, dass er sie betrat. Bislang hatte er immer nur an ihrer Außenseite gearbeitet, hatte die schweren Stahlträger geschleppt und zusammengeschweißt, die den gewaltigen Bau wie einen trägen Stalagmiten in den Himmel wachsen ließen. Noch vor einigen Monaten wäre er vor Neugier vergangen, die Innereien des Bauwerks zu sehen, doch an diesem Morgen empfand Charles nur ein leichtes Unbehagen ob der möglichen Folgen, die es für seine ohnehin mürbe Gesundheit haben konnte, den giftigen Kern des Bauwerks zu betreten. Der Besuch würde seine Krankheit wahrscheinlich noch beschleunigen, es ihm vielleicht sogar unmöglich machen, sein Tagebuch zu beenden. Im Grunde wusste er natürlich, dass er genau deswegen ausgewählt worden war. Wer zur Arbeit ins Herz der Maschine geschickt wurde, hatte in der Regel nur noch wenige Tage zu leben, und deshalb wurden die Schwächsten dafür gewählt und jene, bei denen die Anzeichen der Krankheit schon unübersehbar waren. Wenn das Halsband mit seinen inneren Fasern, die offenbar

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