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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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wer den Kampf am Eingang des Tunnels gewonnen hatte. Und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis die Sieger uns erreicht haben würden. Außerdem schienen es jetzt mehr zu sein, viel mehr als zwei.
    «Agent Clayton …», stammelte Murray mit letzter Kraft, wobei ihm Blutfäden aus den Mundwinkeln rannen und Emmas Haar benetzten, die sich immer noch an ihn klammerte. «Ich weiß nicht, welchen neuen Plan Sie sich ausgedacht haben, aber es gibt nur eine Möglichkeit für die Zeit, die uns noch bleibt. Ich warte hier, und wenn die Marsmonster mich erreichen, lasse ich Ihre verdammte Hand hochgehen … Das schafft Ihnen einige der Bestien vom Hals, und außerdem wird die Explosion den Tunnel zum Einsturz bringen … So haben Sie doch noch eine Chance, zu entkommen.»
    «Nein, Gilliam, nein!», rief Emma.
    Murray brachte seine Worte nur noch undeutlich über die Lippen: «Emma …, Sie wissen, dass es mir Spaß macht, mit Ihnen zu streiten; aber jetzt ist kein guter Zeitpunkt … Gehen Sie mit den anderen, bitte …»
    «Ich gehe nirgends hin, Gilliam. Ich bleibe bei Ihnen», antwortete die junge Lady entschlossen.
    «Nein, Emma, bringen Sie sich in Sicherheit, Sie müssen …»
    «Sie haben es selbst gesagt: Dies ist kein guter Zeitpunkt zu streiten … und das werde ich auch nicht tun», entgegnete sie schluchzend. «Ich bleibe bei Ihnen. Und nichts, was Sie noch sagen, wird meinen Entschluss ändern können, Gilliam.»
    Murray strich ihr mit fahriger Hand übers Haar, dem Tod inzwischen näher als dem Leben.
    «Ich bin der letzte Mensch auf der Erde, mit dem Sie eine Marsinvasion überleben möchten; aber nicht, um mit mir zu sterben?»
    «Meine Erziehung verbietet es mir, Ihnen darauf zu antworten, Mister Gilmore, und meine Moral, Sie zu belügen. Ziehen Sie also Ihre eigenen Schlüsse daraus», antwortete Emma mit versagender Stimme.
    Murrays Gesicht verschwamm zu einem zärtlichen Lächeln, dann trafen sich beider Lippen und verschmolzen zu einem langen Kuss. Seine Pranken glitten über die Rundung ihrer Schultern, zu schwach, sie zu umfangen. Wir alle waren tief gerührt und schauten züchtig zur Seite. Zu mehr war auch keine Zeit, denn das Dröhnen der heranstürmenden Ungeheuer kam immer näher. Diesmal würde es weder der Schriftsteller H. G. Wells noch Spezialagent Cornelius Clayton sein, der die beiden unterbrach.
    «Agent Clayton», hörten wir Murray sagen, als er seine Lippen von denen der jungen Lady löste. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern, während Emma schluchzend ihre Arme um ihn schlang. «Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich möchte höflichst um Ihre Hand bitten.»
    Zum ersten Mal seit ich Clayton kannte, lächelte er. Rasch schraubte er seine Prothese ab und gab sie Murray.
    «Ziehen Sie an diesem Hebel, wenn Sie den Moment für gekommen halten», sagte er, auf einen Mechanismus am Handgelenk deutend.
    «Das werde ich, Agent Clayton», flüsterte er und versuchte noch, vergnügt zu klingen. Dann verabschiedete er sich mit einem letzten Blick auf jeden von uns und vom Hauptmann mit den Worten: «Passen Sie auf sie auf, Hauptmann. Ich verlasse mich auf Sie … Ich weiß, dass Sie sie heil und gesund hier hinausbringen.»
    Shackleton nickte mit verzagter Heldenmiene.
    «Tut mir leid, dass ich Ihren Brief nicht beantwortet habe, Gilliam», sagte Wells in entschuldigendem Ton. «Wenn ich ihn jetzt bekäme, schwöre ich Ihnen, dass ich es täte.»
    «Danke, George.» Murray zeigte ein überraschtes Lächeln.
    Wells trat einen Schritt vor und streckte ihm brüsk die Hand hin.
    «Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Gilliam», sagte er hastig wie jemand, der sich lächerlich dabei vorkommt, seine Gefühle zur Schau zu stellen.
    Gilliam drückte sie und war vielleicht ganz dankbar, dass er mit seiner schmerzverzerrten Miene die Rührung überspielen konnte, die ihm Wells’ unerwarteter Sympathiebeweis bescherte. Dann wandte er sich mit versagender Kraft an Emma, in einem letzten Versuch, sie doch noch zu überzeugen.
    «Gehen Sie jetzt, meine Liebe, bitte. Leben Sie …»
    «Ohne Sie will ich nicht leben», rief Emma in wildem Aufbegehren.
    «Das brauchen Sie auch nicht, Emma», versicherte ihr Murray und streichelte ihr Haar mit fahriger Hand. «Ich schwöre Ihnen, dass Sie nicht allein sein werden, weil ich es irgendwie schaffen werde, zurückzukehren. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich schwöre Ihnen, ich komme zurück. Das habe ich schon einmal

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