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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Hoffnung, dass es mich überdauert. Ich bedaure nur, im Umgang mit Worten nicht die Geschicklichkeit eines Byron oder Wilde aufzubringen, um zukünftigen Lesern dieser Zeilen – falls es welche gibt – die Glut des Feuers spüren zu lassen, das die Herzen der beiden Liebenden entflammte.
    Auf die Explosion folgte ein Donnerkrachen, das uns taub werden ließ. Eine Druckwelle von heißer Luft warf uns beinahe von den Beinen, und entsetzt sahen wir, wie Wände und Decke des Tunnels Risse bekamen, deren gezackte Linien uns vorauseilten. Wir liefen so schnell unsere müden Füße uns trugen, während um uns herum die Welt zusammenbrach. Wir halfen einander, den Gesteinsbrocken auszuweichen, die auf uns herabregneten und die wir wegen unserer Taubheit nur gedämpft auf die Erde schlagen hörten, als lägen dort Matratzen. Eine Staubwolke, die uns fast völlig die Sicht nahm, quoll mit einem Mal durch den Tunnel, doch hustend und rufend gelang es uns trotzdem, den Ausgang zu erreichen, der auf eine breitere Galerie mündete. Mit raschen Blicken in unsere mehlweißen Gesichter überzeugten wir uns, dass niemand verletzt war. Shackleton versuchte sich zu orientieren, derweil hinter uns der Gang, durch den wir gekommen waren, endgültig und mit gewaltigem Getöse in sich zusammenstürzte.
    «Hier entlang!», rief der Hauptmann und verschwand in einem schmalen Gang, der von der Galerie abzweigte.
    Wir konnten seine Worte kaum hören, folgten ihm aber, ohne eine Sekunde zu verlieren, und rannten mit eingezogenen Köpfen durch den niedrigen Tunnel. Er hatte kaum Licht und war zu einem Drittel mit Abwasser gefüllt, sodass wir uns fast blind vorantasten und bis zu den Knien durch die stinkende Brühe waten mussten. Mir war mittlerweile alles egal. Ich war so erschöpft, dass ich mich nicht mehr darum kümmerte, in welche Richtung wir liefen und ob die Ungeheuer uns folgten oder nicht. Meine Taubheit begann sich zu legen, und ich hörte unser pfeifendes Keuchen von den Wänden zurückhallen, woraus ich schloss, dass wir alle am Ende unserer Kräfte, vielleicht sogar unseres klaren Denkens waren. Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, meine Haut brannte, und Brechreiz und Übelkeit machten mir zu schaffen, doch vor allem war ich innerlich zerstört: Ich hatte erkannt, dass ich als Mensch ein Versager war; dass meine Seele so vom Unkraut der Selbstsucht überwuchert war, dass in ihr nicht die Knospe einer einzigen Blume würde aufgehen können. Was bei anderen Menschen natürlich und spontan entstand, erforderte bei mir eine Willensanstrengung und verlangte meistens auch noch nach Belohnung oder persönlicher Befriedigung. Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich mit versagenden Kräften durch den dunklen Tunnel taumelte und plötzlich das Gefühl hatte, es ginge wie von selbst, als hätte ich Flügel an den Füßen.
    «Der Tunnel bekommt ein Gefälle!», hörte ich Wells hinter mir rufen.
    Und tatsächlich senkte sich der Gang immer mehr und fiel am Ende so steil nach unten, dass wir den Boden unter den Füßen verloren und heillos im Wasser rudernd nach unten sausten. Dabei wurde das Rauschen des Wassers immer lauter, und mir schwante, dass wir uns in einer der Nebenröhren befanden, die in den Hauptkanal mündete, der Londons gesammelte Abwässer irgendwo weit draußen in die Themse entließ. Ich stellte mir vor, wie unser Tunnel abrupt endete und uns mehrere Meter tief in das Sammelbecken plumpsen ließ, in das einige solcher Röhren wie die unsere ihren Inhalt ergossen. Ich betete, dass wir die Rutschpartie möglichst unverletzt überstanden.
    Plötzlich entdeckte ich Jane, die fast an meiner Seite abwärtssauste, bleich und mit schreckgeweiteten Augen, und hinter ihr Wells, der verzweifelt die Hand ausstreckte, um sie zu fassen zu kriegen. Ohne nachzudenken, warf ich mich herum und zog sie in meine Arme, bedeckte sie mit meinem eigenen Körper und hoffte so, ihr den größtmöglichen Schutz zu bieten. Dann endete der Tunnel jäh, und ich fühlte mich mit der jungen Dame im Arm durch die Luft segeln. Es schien kein Ende zu nehmen. Doch dann zerplatzte die Seifenblase des Traums, als ich mit dem Rücken gegen etwas Hartes krachte. Der Aufprall war so heftig, dass ich Rippen brechen hörte und mir so lange die Luft wegblieb, dass ich zu ersticken glaubte; aber Jane hielt ich fest. Nachdem ich meine Benommenheit abgeschüttelt hatte, erkannte ich, dass ich gegen das Geländer geschleudert worden war,

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