Die Lange Erde: Roman (German Edition)
Osten.«
»Ja«, antwortete Lobsang. »Langsam, aber sicher in Richtung Datum. Und sie ist mit Sicherheit der Grund für die heillose Flucht der Trolle und vielleicht auch anderer Lebensformen. Ich brüte gerade über der Hypothese, dass sie auf nichtvernunftbegabte Wesen den gleichen Effekt hat wie die Trolle auf eine große Ansammlung von Menschen. Stellt euch den Donner ihrer Gedanken vor …«
»Also haben wir das Migräne-Monster gefunden«, sagte Sally. »Kein Wunder, dass die Trolle fliehen.«
»Sie führt nichts Böses im Schilde«, sagte Joshua. »Sie will sie nur besser kennenlernen. Sie umfangen.«
»Also ehrlich, Joshua, bei dir hört sich dieses Ding beinahe menschlich an.«
»So ist es mir vorgekommen.«
»Aber das ist nur ein Teil der Wahrnehmung«, gab Lobsang zu bedenken. »Es gibt noch mehr. Die Einheit, der du begegnet bist, ist nur … ein Samenkorn. Eine Botschafterin der integrierten Biosphäre, von der sie abstammt. Ihre Absorption ortsansässiger Lebensformen, sogar von höher entwickelten Säugetieren wie Trollen, ist nur ein Zwischenschritt. Ihr Ziel ist, ja, muss es sein, die Biosphäre einer jeden Erde in eine Kopie ihrer eigenen zu verwandeln. Die Gesamtheit, alles und jeden, zu versklaven. Wobei jede Ressource nur einem einzigen Zweck dient, nämlich ihrem eigenen Bewusstsein von sich selbst. Das ist kein böswilliges Phänomen oder in irgendeiner Hinsicht falsch. Hier gibt es keinen Bösewicht. Erste Person Singular ist einfach nur ein Ausdruck einer anderen Art von Empfindung. Ein anderes Modell, wenn ihr wollt. Aber …«
Sallys Gesicht war aschfahl. »Aber für solche wie uns verkörpert sie das Ende. Sie bringt jeder Erde, die sie berührt, das endgültige Ende der Individualität.«
»Und das Ende der Evolution«, erwiderte Lobsang und nickte ernst. »In gewisser Hinsicht das Ende der Welt. Das Ende einer Welt nach der anderen, während sie sich immer weiter durch die Kette der Langen Erde voranarbeitet.«
»Sie ist ein Weltenvernichter«, sagte Sally. »Sie frisst die Seelen auf. Falls die Trolle etwas davon ahnen, ist es kein Wunder, dass sie in Angst und Schrecken versetzt sind.«
»Natürlich bleibt nach wie vor die Frage«, gab Lobsang zu bedenken, »warum sie bis jetzt noch keine der bewohnten Welten erreicht hat. Warum sie die Erde noch nicht verschlungen, sie aus lauter Neugier und Liebe vernichtet hat.«
Joshua verzog das Gesicht. »Die Lücke. Es kann kein Zufall sein, dass wir sie so nahe an der Lücke entdeckt haben.«
»Stimmt«, meinte Lobsang. »Sie kann die Lücke nicht überspringen. Jedenfalls momentan noch nicht. Sonst hätte sie wahrscheinlich längst bewohnte Welten erreicht.«
»Wir können die Lücke bewältigen«, sagte Sally. »Die Trolle auch. Also lernt sie es bestimmt bald. Außerdem gibt es noch die weichen Stellen. Wenn sie die erst für ihre Zwecke benutzen kann – dann gnade uns Gott! Sie ist wie eine Seuche, die die Lange Erde nach und nach vernichtet.«
»Nein«, entgegnete Lobsang entschieden. »Sie ist keine Seuche, kein bösartiges Virus oder gefährliches Bakterium. Sie ist ein mit einem Bewusstsein ausgestattetes Wesen. Genau da, glaube ich, liegt unsere Hoffnung. Wie hat sie überhaupt mit dir geredet, Joshua? Du sagst, du hast deine eigene Stimme im Kopf gehört? Das klingt nicht nach Telepathie – jene Art von Kommunikation, für die ich immer noch keinen einzigen verlässlichen Beweis gefunden habe. Es kommt mir vielmehr wie etwas gänzlich Neues vor. Es hat dich gefragt, was eine Nonne ist! Wenn ich mal eine Vermutung äußern darf, so hat es die Information zu diesem Zeitpunkt aus deinen aktuellen Gedanken gezogen. Du hast an Schwester Agnes gedacht, stimmt’s? Als Ingenieur fällt es mir schwer, so etwas zu glauben. Aber als Buddhist akzeptiere ich durchaus, dass es mehr Möglichkeiten gibt, über das Universum nachzudenken, als ich mir vorzustellen vermag.«
»Ich hoffe doch sehr, dass du jetzt nicht über Religion reden willst«, unterbrach ihn Sally schroff.
»Öffne deinen Geist, Sally. Religion ist lediglich ein anderes Bezugssystem zum Verständnis des Universums, ein anderes Werkzeug.«
»Und was macht das aus Joshua?«, blaffte sie ihn an. »Den Auserwählten?«
Die beiden sahen Joshua an.
»Gewissermaßen schon«, sagte er widerwillig. »Zumindest schien sie mich zu erkennen. Falls sie mich nicht ohnehin erwartet hatte.«
Sally machte ein finsteres Gesicht. Sie war offensichtlich eifersüchtig. »Warum
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