Die Lange Erde: Roman (German Edition)
schadet nie, sich auf alle denkbaren Eventualitäten vorzubereiten. Du bist meine ultimative Rückversicherung, Joshua. Deshalb bist du hier. Aber deine Ausrüstung ist noch nicht komplett.«
Joshua schaute noch einmal in den Koffer und zog ein weiteres Gerät heraus. Es war ein vor Linsen, Mikroskopen und anderen Sensoren starrendes Gestell, das auf einer Schultereinheit saß. »Du machst wohl Witze.«
»Es ist leichter, als es aussieht. Der Sensorbus lässt sich ganz einfach auf deiner Schulter festschnallen, ein Datenkabel wird mit dem Rucksack verbunden …«
»Du erwartest doch nicht, dass ich die millionste Erde mit diesem Papagei auf der Schulter erforsche?«
Lobsang klang beleidigt. »Ein Papagei, ja, schon, wenn du unbedingt … Also, Eitelkeit hätte ich von dir nicht erwartet, Joshua. Wer sieht dich denn schon? Abgesehen davon ist es überaus praktisch. So kann ich sehen, was du siehst, und hören, was du hörst, wir stehen in ständigem Kontakt miteinander. Und wenn du Probleme bekommen solltest …«
»Was machst du dann? Ein Ei legen?«
»Setz es einfach auf, Joshua, ich bitte dich.«
Das Gestell schmiegte sich perfekt auf Joshuas rechte Schulter und war so leicht, wie es Lobsang versprochen hatte. Aber Joshua wusste, er würde nie vergessen, dass das Ding dort saß, dass Lobsang ihm buchstäblich bei jedem Atemzug über die Schulter sah. Zum Teufel damit. Er hatte bei dieser Reise ohnehin keine Vergnügungsfahrt erwartet, und der Papagei machte die Sache auch nicht viel schlimmer. Abgesehen davon ging das Ding wahrscheinlich früher oder später kaputt.
Ohne weitere Debatte ging Joshua nach unten zu einem Einstiegsdeck, zog die Tür gegen den leichten Überdruck der Kabine auf – der Luftdruck war stets ein wenig erhöht, damit keine Atmosphäre von außen in das Schiff eindringen konnte, bevor Lobsang überprüft hatte, ob sie auch sicher war – und betrat einen kleinen Fahrstuhlkäfig. Eine Winde ließ ihn sanft bis zum Boden hinab, gleich neben der aus dem Boden ragenden Felsnase.
Sobald er unten angekommen war und knietief im Schnee stand, sog er die Luft dieser kalten Erde tief in sich ein und drehte sich langsam zur Seite. Der Himmel hatte sich inzwischen bezogen, die Luft schimmerte glasig: Schneegefahr. »Du siehst es wahrscheinlich selbst. Ein stinknormales Schneefeld.«
»Ich sehe es«, flüsterte ihm Lobsang ins Ohr. »Du solltest wissen, dass der Papagei über Nasenfilter verfügt, die es mir ermöglichen, etwas zu riechen, was …«
»Schon gut.« Joshua machte ein paar Schritte, dann drehte er sich um und betrachtete das Luftschiff. »Siehst du das? Ich will dir nur die Gelegenheit geben nachzusehen, ob schon irgendwelche Abnutzungserscheinungen festzustellen sind.«
»Gut mitgedacht«, murmelte der Papagei.
Joshua ging neben dem Baum in die Knie. »Da sind kleine Fähnchen, die die Baumringe markieren.« Er zog eine heraus und entzifferte die Beschriftung. »Universität Krakau. Das waren Wissenschaftler. Aber warum haben sie das getan?«
»Sie waren an den Klimaaufzeichnungen in den Baumringen interessiert. Genau wie auf der Datum. Interessanterweise legen solche Aufzeichnungen die Vermutung nahe, dass die Kluft zwischen benachbarten Welten ungefähr fünfzig Jahre beträgt. Also innerhalb der Lebensspanne einer durchschnittlichen Kiefer. Das wirft natürlich eine Menge Fragen auf.«
Joshua vernahm ein dumpfes Stampfen, ein lautes Platschen und ein schrilles Trompeten. Er drehte sich langsam um; offensichtlich war er nicht allein auf dieser Welt. Er wurde Zeuge einer Szene zwischen Jäger und Beute, die sich nicht weit von ihm entfernt abspielte: Ein katzenartiges Tier mit Reißzähnen, die so schwer waren, dass es allem Anschein nach kaum den Kopf heben konnte, verfolgte ein watschelndes Geschöpf mit einer panzerartigen Lederhaut. Es waren die ersten Tiere, die er auf dieser Welt sah.
Auch Lobsang sah das, was er sah. »Der Waffenstarrende auf den Fersen des Hochgepanzerten: das Resultat eines evolutionären Rüstungswettlaufs. So wie er sich auch auf der Datum viele Male abgespielt hat, in unterschiedlichen Zusammenhängen, bis beide Parteien der Ausrottung zum Opfer fielen, so wie schon in grauer Vorzeit, im Zeitalter der Dinosaurier und noch früher. Allem Anschein nach eine Universalie. Nicht nur auf der Datum, sondern auch in der Langen Erde. Geh mal um diesen Felsbrocken herum, Joshua. Dort kommst du an offenes Wasser.«
Joshua drehte sich um und ging
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