Die Lange Erde: Roman (German Edition)
das Recht, das Versuchskaninchen zu spielen, wenn es dafür geeignetere Kandidaten gibt – in diesem Fall meine mobile Unterwassereinheit. Aufgepasst!«
Eine Art mechanischer Delfin sprang aus dem Meer, blieb kurz in der Luft stehen und tauchte wieder hinein.
Joshua schaute zu Lobsang hinauf und fragte sich wieder einmal, ob die Mienen auf diesem konstruierten Gesicht sorgfältig programmiert waren oder ob es sich um so etwas wie Reflexe handelte, wahre Ausdrücke innerer Regungen. Wie dem auch sein mochte, momentan war Lobsang, wie er so seine neue Schöpfung betrachtete, offensichtlich überglücklich. Er war wirklich begeistert von seinen Spielsachen.
Aber das Grinsen erlosch rasch. »Mehrere Fischarten festgestellt«, sagte Lobsang, »Wasserproben genommen, Plankton identifiziert, Tiefe bis Meeresgrund noch unbekannt … da kommt etwas herauf. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wieder an Bord zu kommen – festhalten!«
Der Fahrstuhl hob sich plötzlich und rastete mit einem Scheppern an den Haltepunkten ein. Joshua schaute nach unten und sah die wunderbare Wassereinheit ein letztes Mal in die Luft wirbeln, ehe sich ein riesiges Maul mit grässlicher Endgültigkeit um sie schloss.
Erschrocken drehte er sich zu Lobsang um. »Und das nennst du ein Schnapp? «
»Ehrlich gesagt, könnte man es, recht bedacht, durchaus auch als ein SCHNAPP! bezeichnen.«
»Du hast mich überzeugt. Tut mir leid um dein Spielzeug-U-Boot. War es teuer?«
»Schrecklich teuer, ja, und schwer patentgeschützt, aber leider nicht schwer gepanzert. Wir verfügen jedoch noch über mehrere Ersatzgeräte. Komm schon, zur Abwechslung mache ich mal Frühstück.«
Als sie gegessen hatten, wartete Lobsang auf dem Aussichtsdeck auf Joshua.
»Vorläufig bezeichne ich unseren hungrigen Besucher als Hai. Auf der Erde haben nachweislich extrem große Haie existiert, und ich habe ihn sehr schön im Bild festhalten können, aber darüber sollen die Ichthyologen entscheiden. Und du darfst dich, mit den besten Grüßen von mir, weiterhin beider Beine erfreuen.«
»Schon gut. Ich hab’s kapiert. Vielen Dank auch …«
Die Mark Twain war schon längst weitergewechselt. Joshua blickte wieder auf Wälder hinab, die Meereswelt lag lange hinter ihnen. Kein Ozean mehr, kein glitzernder Sonnenschein. In gewisser Hinsicht wurde es zur Gewohnheit, dass Lobsang und Joshua schweigend beisammensaßen. Obwohl ihre Beziehung sich inzwischen recht passabel entwickelt hatte, konnten auf diese Weise Stunden vergehen, ohne dass ein Wort zwischen ihnen gewechselt wurde.
Als Joshua seine Aufmerksamkeit wieder nach Westen wandte, spürte er einen merkwürdigen Druck im Kopf. Es kam ihm beinahe so vor, als näherte er sich wieder der Datum, statt sich immer weiter von ihr zu entfernen.
Aus irgendeinem Grund dachte er zum ersten Mal über das Ende dieser Reise nach. »Wie weit willst du eigentlich vorstoßen, Lobsang? Laut unserer Abmachung bin ich zwar bis zum Schluss dabei, aber ich habe zu Hause auch Verpflichtungen. Schwester Agnes und die anderen sind nicht mehr so gut auf den Beinen wie früher …«
»Eine interessante Reaktion von unserem großen Einzelgänger«, erwiderte Lobsang trocken. »Es hat mir ganz den Anschein, als wärst du den alten Waldläufern und Spurenlesern des Wilden Westens sehr ähnlich, Joshua. Wie Daniel Boone, mit dem ich dich schon einmal verglichen habe. Du scheust die Gesellschaft anderer Menschen, aber nicht immer. Außerdem hatte sogar Daniel Boone eine Mrs Boone und jede Menge kleiner Boones.«
»Wobei einige der kleinen Boones nicht seine Boones waren, sondern die Boones seines Bruders, wenn ich glauben darf, was ich einmal gelesen habe.«
»Ich verstehe dich, Joshua. Genau das wollte ich dir sagen.«
»Ich möchte doch sehr bezweifeln, dass du irgendetwas verstehst, was mich angeht, Blechmann«, sagte Joshua gereizt.
»Na schön. Was hältst du von folgendem Vorschlag? Wenn wir in den, sagen wir mal, kommenden zwei Wochen niemandem begegnen, mit dem du dich unterhalten kannst, drehe ich um, und wir fahren wieder nach Hause. Wir haben inzwischen garantiert genug Daten gesammelt, dass meine Freunde in den Universitäten sich wie die Schneekönige freuen. Du kannst dich ordentlich ausruhen, und ich fange sofort an, Pläne für die Mark Trine zu entwerfen, in der Hoffnung, dass mir Mr Clemens’ Schatten verzeiht.« Als er Joshuas verdutztes Gesicht sah, erläuterte er großmütig: »Der Dialekt, der uns das Wörtchen
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