Die Lange Erde: Roman (German Edition)
Papa! …
Ich heiße Jack Green. Wer das hier liest, weiß wohl längst, dass ich Helens Vater bin. Ich habe die Erlaubnis von Helen, ein paar Anmerkungen zu diesem Logbuch beizusteuern, das inzwischen selbst zu einem kostbaren Schatz geworden ist. Helen ist momentan woanders beschäftigt, aber sie hat heute Geburtstag, und ich wollte sichergehen, dass der Tag gebührend gewürdigt wird.
Wo soll ich anfangen?
Inzwischen haben wir fast alle unsere Häuser gebaut. Die Felder und Äcker werden nach und nach bestellt. Normalerweise gehe ich bei der Arbeit mit gebeugtem Kopf. So wie wir alle. Ab und zu mache ich jedoch einen Spaziergang durch die Siedlung, und dann sehe ich, wie wir uns ins Grün hineinknabbern.
Die Sägemühle ist in Betrieb. Sie war unser erstes gemeinschaftliches Projekt. Ich kann sie, während ich das hier schreibe, deutlich hören. Wir versuchen ihr unverkennbares Zweitaktgeknatter, mit dem sie den Wald nach und nach in eine Stadt verwandelt, Tag und Nacht am Laufen zu halten. Wir haben einen Töpferofen und einen Kalkofen, einen Seifensiedekessel und natürlich unsere Schmiede, die unser wunderbares englisches Genie Franklin aufgebaut hat. Die geologischen Vermessungskarten haben sich als einwandfrei erwiesen. In mancher Hinsicht ist es unglaublich, wie rasch wir vorangekommen sind.
Aber wir hatten auch die Möglichkeit, auf Hilfe von außerhalb zurückzugreifen. Eine Amish-Familie, die dem Beispiel Reverend Herrins, unseres Wanderpredigers, folgte, kam ebenfalls hier entlang. Sie sind zugegebenermaßen ein eigenartiges Völkchen, aber durchaus freundlich, und bei allem, was sie tun, überaus kompetent. So haben sie uns beispielsweise dabei geholfen, unseren Töpferofen zu bauen, einen kastenförmigen Brennofen mit einem Schornstein obendrauf. Unsere Töpfe sind natürlich sehr grob, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie stolz man sein kann, wenn man eine Vase, die man selbst gebrannt hat, auf ein selbst gezimmertes Regal stellt, mit Blumen aus dem eigenen Garten, den man der bloßen Erde abgetrotzt hat.
Trotzdem ist all das nichts im Vergleich zu den ersten Eisenwerkzeugen aus Franklins Schmiede. Ohne unsere Eisen- und Stahlwerkzeuge kämen wir nicht voran. Aber das Eisen hat eine seltsame Wirkung auf unsere heimische Wirtschaft. Nachdem wir hier angekommen waren, haben sich ungefähr hundert von uns tatsächlich über eine Handvoll angrenzender Welten verteilt, statt auf einer beisammenzubleiben. Warum auch nicht? Platz gab es genug. Aber man kann natürlich kein Eisen zwischen den Welten mitnehmen, nicht einmal das Material, das wir hier selbst hergestellt haben. Deshalb kommen diese Leute langsam wieder nach 754 zurück, in die Welt mit der Schmiede; andernfalls müssten sie woanders wieder ganz von vorne anfangen (obwohl Franklin seine Hilfe angeboten hat – für ein Mehrfaches seines Lohns).
Es kommt mir vor, als wäre die Erschließung der Langen Erde durch die Menschheit von einer simplen Tatsache abhängig: dass man kein Eisen oder Stahl von einer Welt in die andere mitnehmen kann. Ein Beispiel: Wir hatten die Idee, parallele Felder auf den Erden nebenan anzulegen, damit keine einzige Ernte durch Mehltau oder schlechtes Wetter vernichtet werden kann. Bringt aber nichts, weil es vernünftiger ist, die Eisenwerkzeuge, die wir bereits hergestellt haben, dafür zu verwenden, unseren Bestand hier auf 754 zu erweitern.
Interessant auch, wie wir Besucher wie die Amish für ihre Dienste bezahlen. Finde ich jedenfalls. Geld? Hat hier draußen in der Langen Erde keinen Wert. Was aber hat noch einen Wert, wenn jeder seine eigene Goldmine besitzen könnte? Eine interessantes Gedankenspiel, oder?
Untereinander benutzen wir Währungen aus der Datum. Seit in der Folge der Langen Erde die Rezession eingesetzt hat, haben sich der Yen und der Dollar ganz gut gehalten, besonders deshalb, weil sie fälschungssicher sind. Das Britische Pfund ist schon früher zusammengebrochen, als die Hälfte der Bevölkerung dieser überfüllten kleinen Insel entflohen ist – einer davon Franklin, unser unbezahlbarer Schmied. Trotzdem hat Großbritannien, und das nicht zum ersten Mal, den Weg aus der Not aufgezeigt. Während ihrer schlimmen wirtschaftlichen Jahre entwickelten die Briten den »Gefallen«, eine Währung von flexiblem Wert. Kurz gesagt handelte es sich um eine imaginäre Währung, deren Wert vom Käufer und Verkäufer zum Zeitpunkt der Transaktion festgelegt wurde – was sie ziemlich schwer zu
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