Die lange Reise
Diese Einrichtungen, die notgedrungenermaßen mit beweglichen Teilen ausgestattet sein mußten, waren schon lange vor der Zeit des ersten Schlichters außer Funktion geraten, und die nutzlose Masse hatte ihren Weg in den Hilfskonverter gefunden oder wurde zweckentfremdet. Hugh wußte nicht einmal, daß es je solche Maschinen gegeben hatte. Für ihn boten die ihrer technischen Einrichtungen entblößten Kabinen ein völlig normales Bild, da er es ja nicht anders kannte.
Zwei weitere Umstände halfen Hugh, seinem Ziel näher zu kommen: Erstens weil Raumschiffballistik ein sehr unkompliziertes Fachgebiet ist. Zweitens weil den Konstrukteuren der Vanguard durchaus klar gewesen war, daß das Schiff sein Ziel frühestens zwei Generationen nach dem Start erreichen würde. Sie hatten deshalb alles getan, den noch ungeborenen Piloten, die das Schiff landen würden, die Arbeit zu erleichtern. Obwohl sie keinen solchen Rückfall im Verständnis der Technik erwartet hatten, hatten sie doch ihr Bestes gegeben, die Bedienungselemente so einfach und verständlich wie nur möglich zu gestalten. Ein Vierzehnjähriger, der sich auch nur ein bißchen für Raumfahrt interessierte, hätte bestimmt in wenigen Stunden sämtliche Geheimnisse ergründet. Hugh, der in einer Kultur aufgewachsen war, für die das Schiff die Welt überhaupt darstellte, schaffte es nicht so schnell.
Was ihm besondere Schwierigkeiten bereitete, waren die Raum- und Zeitmessungen, weil ihm diese Begriffe absolut nichts sagten. Er mußte lernen, mit dem Entfernungsmesser umzugehen. Es handelte sich hier um einen Langzeitparallaxensucher, der extra für die Vanguard konstruiert worden war. Er hatte schon gut zwanzig Sterne angepeilt, ehe es ihm überhaupt dämmerte, daß die angezeigten Zahlen möglicherweise etwas bedeuten könnten. Die Werte waren in Parsek angegeben, ein weiterer Begriff, mit dem er lange nichts anzufangen wußte. Mit Hilfe der heiligen Bücher versuchte er die Werte in ihm verständliche Längenmaße umzurechnen, aber das ergab Zahlen, die ihm unmöglich, unvorstellbar erschienen. Doch er gab nicht auf, und die immer gleichen Resultate zwangen ihn schließlich zu einem, wenn auch nur vagen Verständnis der astronomischen Größenordnung.
Diese Erkenntnis jagte ihm einen solchen Schreck ein, daß er ein paar Schlafperioden lang dem Kontrollraum fernblieb und schon fast soweit war, aufzugeben. Er versuchte sich abzulenken, indem er auf Brautschau ging. An in Frage kommenden Frauen war kein Mangel, denn, abgesehen von den jungen Mädchen in den Dörfern, hatte Joe-Jims Säuberungsaktion zu einer nicht unbeträchtlichen Zahl von durchaus ansehnlichen jungen Witwen geführt. Hugh nützte seinen hohen Status in der neuen Schiffshierarchie und wählte sich zwei Frauen aus. Die erste war eine Witwe, eine kräftige tüchtige Frau, die es durchaus verstand, für die häusliche Bequemlichkeit eines Mannes zu sorgen. Er brachte sie in seine neue Kabinensuite auf einem der oberen Decks mit der geringeren Schwerkraft. Er gab ihr nicht nur freie Hand, was den Haushalt betraf, sondern gestattete ihr sogar, ihren früheren Namen Chloe zu behalten.
Die zweite war ein junges Mädchen, noch ohne hausfrauliche Erfahrung und wild wie ein Mutie. Hugh konnte sich selbst nicht erklären, weshalb er sich ausgerechnet sie ausgesucht hatte. Über frauliche Tugenden verfügte sie offenbar nicht, aber – sie erweckte ein so eigentümliches Gefühl in ihm. Sie hatte ihn einfach gebissen, als er sie abgetastet hatte, wie es in einem solchen Fall üblich war. Natürlich hatte er ihr dafür eine Ohrfeige versetzt, und das hätte eigentlich das Ende sein sollen. Aber fast gegen seinen Willen hatte er später ihrem Vater ausrichten lassen, sie zu ihm zu schicken.
Er war noch nicht dazu gekommen, ihr einen Namen zu geben.
Die Zeitmessung verursachte ihm nicht weniger Kopfschmerzen als die astronomischen Entfernungen, aber sie war zumindest leichter vorstellbar. Die Schwierigkeit bestand darin, daß es einen exakten Zeitbegriff im Schiff überhaupt nicht mehr gab. Die Mannschaft kannte zwar Begriffe wie »jetzt«, »nachher«, »war«, »wird sein« und sogar Ausdrücke wie »eine lange Zeit« und »eine kurze Zeit«, aber der Begriff der gemessenen Zeit war ihnen völlig fremd. Selbst die primitivsten Stämme auf der Erde maßen die Zeit auf irgendeine Weise, auch wenn sie sich dabei vielleicht lediglich auf Tage und Jahreszeiten beschränkten. Aber jegliche irdische
Weitere Kostenlose Bücher