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Die langen Schatten der Erleuchtung

Die langen Schatten der Erleuchtung

Titel: Die langen Schatten der Erleuchtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirti Peter Michel , Klaus-Jürgen Leimann
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Pflichtbewusstsein. Er war bei seinen Kollegen schon ein wenig verhasst, denn nur zu oft hieß es: „ Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Harald Mahnke, der fehlt auch nicht bei jeder Kleinigkeit !“ Im Kollegenkreis unkte man schon: „ Wenn der Mahnke mal einen Herzinfarkt an seinem Kopierer bekommt, dann stempelt der vorher noch aus! “
     
    So war Harald dann die Woche zuvor mit Fieber in die Firma gegangen, hatte dort lautstark gehustet, so oft es nur ging, damit auch alle an seinem schlechten gesundheitlichen Zustand teilnehmen konnten. „Mensch, geh doch nach Hause! “, wurde er mehrmals aufgefordert. Jede Anteilnahme an seinem Zustand wiegelte er tapfer ab: „Ach, das ist nur ein bisschen vorne an – das geht schon wieder!“ Doch es war nicht zu übersehen, wie hundsmäßig es ihm ging. Schließlich war es Harald auch noch gelungen, seinen Abteilungsleiter Herrn Maltzahn anzustecken, so dass dieser am nächsten Tag das Bett hüten musste - ein weiterer Beweis für Haralds abnorme Charakterstärke. Harald stand mit nassem Rücken, geröteten Augen und triefender Nase wie der schiefe Turm von Pisa am Kopierer und hielt noch drei weitere Tage durch. Plötzlich war ihm schwindelig geworden, und er war einfach umgefallen. Instinktiv hatte er sich an seinem Kopierer festgehalten und das gute Stück mit ins Verderben gerissen.
     
    Harald kam im Krankenzimmer seiner Firma wieder zu sich. Der umgerissene Kopierer hatte seinen Fuß gequetscht. Der Betriebsarzt Dr. Herder verordnete Harald eine Woche strikte Bettruhe, obwohl dieser selbst jetzt noch verzweifelt protestierte. Man ließ ihn von einem Fahrer der Postabteilung nach Hause bringen. Und nun saß Harald, von der Grippe gebeutelt, in der Küche. Aber es machte ihm fast mehr zu schaffen, dass er nun nicht mehr zu den Mitarbeitern gehörte, die von sich behaupten konnten, noch nie gefehlt zu haben. „Und das gerade jetzt“, jammerte er, „wo die vielen Schecks zum Bausparstichtag kommen!“
     
    „Geh doch mal mit Jojo und Hanif in den Rosengarten, Harald“, schlug Käthchen vor, „da kommst du auf andere Gedanken! Besser als hier nur ´rum zu sitzen und zu jammern!“
     
    „Und wenn jemand aus der Firma anruft, weil er mit dem Kopierer nicht zurecht kommt und ich nicht da bin!?“
     
    „Ach, Harald, jeder ist ersetzbar! Auch du!“, sagte Käthchen. „ich kann ja sagen, dass du auf der Intensivstation im Tropenkrankenhaus liegst und zurückrufst, sobald du aus dem Koma erwacht bist!“
     
    „Hör ja auf, so einen Quatsch zu erzählen! Nachher lassen die mich nicht mehr rein aus Angst vor der Vogelgrippe!“
     
    „Na ja! Du gehst uns auch mit deinem Gejammere schon allen auf die Nerven! Und an der frischen Luft wirst du schneller wieder gesund als hier in der Küche!“
     
    So war es Käthchens Hartnäckigkeit zu verdanken und auch der Aussicht, wieder schneller an seinen geliebten Kopierer in der Firma zurückkehren zu können, dass Harald mit Jojo und Hanif an den Bahngleisen entlang zum Rosengarten am Fernsehturm zuckelte. Harald zog seinen verletzten Fuß immer noch ein wenig nach.
     
    Als sie am Schlachthof vorbeikamen, standen die Sattelschlepper an der Rampe und wurden mit Rinds- und Schweinehälften beladen. Hanif schüttelte ungläubig den Kopf: „Diese vielen Tiere müssen alle getötet werden, weil ihr solche Unmengen Fleisch esst!?“
     
    „Ja, natürlich, dafür sind die Tiere ja da!“, antwortete Harald.
     
    „Aber sie leben doch auch gerne! Könnt ihr nicht weniger Fleisch essen oder ganz damit aufhören?“
     
    „Warum? Die Tiere werden ja extra dafür gezüchtet!“, erwiderte Harald.
     
    „Die Menschen hier essen auch, um sich selbst zu vergessen, Hanif“, schaltete sich nun Jojo ein, der wegen des süßlichen Verwesungsgeruchs gerade die Straßenseite wechselte, „niemand hungert hier wie bei uns, wo man schon glücklich ist, wenn man satt ist. Es ist mir schon aufgefallen: Mit dem Essen ist es zum Teil wie mit dem Fernsehen. Es ist auch eine Art Unterhaltung. Deshalb spielen sie auch zum Essen in den Restaurants und beim Einkauf in den Geschäften ständig Musik!“
     
    Harald verdrehte verzweifelt die Augen: „Warum müsst ihr beiden bloß immer alles so verdammt kompliziert sehen?!“
     
    Sie standen am Fuße des Fernsehturms. Hanif hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte nach oben. „Mir wird schwindelig, wenn ich hier hoch schaue! Wir haben in Indien auch Türme – die Stupas in unseren

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