Die langen Schatten der Erleuchtung
Liebe!“
„Ich nicht!“, heulte Marlies und schmiss das Kleid in die Ecke. Verächtlich griff sie in ihre Speckrollen an den Hüften. „Und dass Harald nicht kommt, das macht mich zusätzlich noch kribbelig! Verdammt noch mal, wo bleibt der denn!?“
„Vielleicht macht er wieder Überstunden!“, meldete sich Käthchen von ihrem Stahlelement. „Übrigens, wenn es dir mit deiner Diät ernst ist, Marlies - ich bin dabei!“
„Dass ich nicht lache, Käthchen“, erheiterte sich Vera, die einen kleinen Teller mit Rohkost vor sich hatte, da sie abends nie mehr viel aß. Aber mir ist es recht! Ich finde es sowieso ungerecht, dass wir alle den gleichen Betrag in die Haushaltskasse geben, aber unterschiedlich viel essen!“
„Warum schaust du mich so an, Vera?“, erwiderte Käthchen.
„Ich will es mal so ausdrücken, mein Käthchen“, meinte Vera, „wenn man für drei wiegt, dann wird man vermutlich auch für drei essen!“
„Du weißt genau, dass es bei mir die Drüsen sind!“, protestierte Käthchen und nahm sich das nächste Schnittchen von ihrem Teller.
„Das sagen alle Dicken“, konterte Vera, „kein Übergewichtiger wird je zugeben, dass sein Gewicht mit dem Essen in Zusammenhang steht, nicht Marlies!?“
Marlies hatte gerade die Küche wieder betreten. Sie trug jetzt das Kleid mit den großen Blumen, das ihr Jutta empfohlen hatte, und wirkte erleichtert, wenn auch nicht zufrieden. „Doch“, antwortete Marlies, „ich bekenne mich schuldig. Und ab morgen machen wir Diät, nicht Käthchen!?“
„Du sagst es, mein Püppchen!“, stimmte Käthchen ihr zu.
„Na, dann wird ja in unserer Haushaltskasse ab morgen ein gewaltiger Überschuss herrschen“, lästerte Vera, „vielleicht sollten wir schon mal vorbeugend die Beiträge senken!“
„Ich mache mir Gedanken!“, schnitt Marlies ein anderes Thema an. „Ich mache mir echte Sorgen um Harald. Das ist ganz und gar nicht seine Art!“
„Ach, mein Kind“, antwortete Käthchen, „du bist doch Eheberaterin. Und warum kommen die meisten Ehemänner nicht pünktlich nach Hause? Weil sie versackt oder im Puff gelandet sind. Oder eine Frau auf einer Feier kennen gelernt haben. Oder alles drei auf einmal!“
„Harald trinkt nichts während der Arbeitswoche, das wisst ihr ganz genau!“, erwiderte Marlies fast bedauernd. „Auch auf Betriebsfeiern nicht! Und er geht auch nicht in den Puff, nicht einmal in die Nähe. Er heißt ja schließlich nicht Hanif!“
„Obwohl das alles nicht so tragisch wäre, Marlies!“, meinte Käthchen. „Aber wenn du dir nun doch so viele Sorgen machst, warum rufst du nicht einfach in der Firma an?!“
„Eine halbe Stunde warte ich noch“, erklärte Marlies, „was sollen die sonst von mir denken? Als ob Harald sich nicht ´mal verspäten dürfte!“
Die halbe Stunde verging, ohne dass Harald eintrudelte. Marlies war ein Nervenbündel. „Er ruft ja sonst immer an, wenn etwas dazwischen kommt! Oder wenn er Überstunden machen muss!“
„Dann ruf schon an, mein Kind“, riet ihr Käthchen, „damit du endlich wieder atmen kannst! Sag' einfach, jemand sei überraschend zu Besuch gekommen! Ein Verwandter, der auf der Durchfahrt ist und nur zwei Stunden Zeit hat! Oder so etwas in die Richtung!“
„Du bist ein Schatz, Käthchen! Auf die Ausrede muss erst mal jemand kommen.“
Marlies ging in den Flur, und man hörte sie eine Weile telefonieren. Dann kam sie wieder in die Küche. Sie strahlte, und ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet: „Harald ist befördert worden!“, meinte sie ergriffen. „Frau Dreyer, die Sekretärin seines Abteilungsleiters Herrn Maltzahn, hat es mir verraten, aber ich soll´s keinem weitersagen: Harald wird bei der Führungskräfte-Tagung im CCH nächsten Monat zum Handlungsbevollmächtigen ernannt! Herr Maltzahn hat es Harald heute Nachmittag in einem Gespräch unter vier Augen schon mal anvertraut!“
„Wieso muss man denn am Kopierer Handlungsbevollmächtigter sein?“, hakte Vera in ihrer nüchternen Art nach.
„Frau Dreyer, die Sekretärin von Herrn Maltzahn hat mir am Telefon gesagt“, atmete Marlies schwer vor Erregung, „solch eine Beförderung sei normalerweise auch nicht üblich. Doch weil Harald schon seit Jahrzehnten seine Arbeit so überaus gewissenhaft und geradezu aufopfernd ausübt, hätte sich Herr Maltzahn zu diesem außergewöhnlichen Schritt entschlossen und ihn auch beim
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