Die langen Schatten der Erleuchtung
man richtig hungrig ist! Dann isst man. Nicht zuwenig, nicht zuviel! - Das ist alles! Und das Wichtigste dabei ist, nicht schlingen, sondern langsam und bewusst kauen und vor allem das Essen genießen!“
„Ihr könnt einem ja alle Mut machen!“, verdrehte Käthchen die Augen und hielt Marlies ihren leeren Teller hin, „da werde ich heute noch mal zuschlagen, ehe ich vom Fleisch falle!“
„Das mit dem Fasten werde ich mir noch ´mal durch den Kopf gehen lassen, Vera! Gar keine schlechte Idee!“, meinte Marlies und blickte mit einer Mischung aus Neid und gespielter Abscheu auf den Teller von Käthchen.
„Morgen gehe ich wieder in den Rosengarten“, erzählte Harald abends im Bett seiner Marlies, die eine Flasche Mineralwasser auf ihren Nachttisch gestellt hatte, „aber unsere beiden Wilden lasse ich diesmal zu Hause. Die können dir den letzten Nerv mit ihren Fragen rauben, glaub' mir! Die wollten gar nicht mehr raus aus dem Rosengarten. Die wollten da glatt übernachten! Ist doch nicht zu fassen! Ich habe ihnen gesagt, das geht nicht! » Und warum nicht? «, hat Hanif dann gefragt, » warum darf man an dem schönsten Ort in eurer Stadt nicht über Nacht bleiben? « Darauf gib mal 'ne Antwort, Marlies! Zum Glück kam gerade der Wärter auf seinem Kontrollgang mit seinem Rottweiler vorbei! » Deswegen! « habe ich gesagt! Der Rottweiler hat Hanif dann überzeugt!“
Am nächsten Tag setzte sich Harald auf seine Bank im Rosengarten. Er trug eine Sonnenbrille und hatte sich vorsichtshalber eingecremt. Er öffnete auf den Knien seinen Aktenkoffer, entnahm ihm seine Fachzeitschrift „ Der Kopierer“ und blätterte mit angestrengter Miene in einem Artikel über Fernkopierer. „ Ist doch lachhaft “, dachte er, „ das sind doch Hirngespinste wie die Mondkolonien! Wer will denn so was?! “ Zum dritten Male überprüfte er, ob sein Handy auch eingeschaltet war.
„ Wer jetzt wohl am Kopierer steht “, marterte er sein Gehirn, „ wahrscheinlich die alte Saathoff, die immer die Schecks vertauscht! Die würde sich lieber in den Arsch beißen, als mich anzurufen und um Rat zu fragen! Aber für alle Fälle habe ich ja Maltzahn meine Handy-Nr. durchgegeben. Und auch seiner Sekretärin Dreyer. Aber die war wieder so überspannt! Hoffentlich hat sie meine Nummer nicht verdreht! Ob ich vorsichtshalber noch mal in der Firma anrufe? “
Beiläufig ließ Harald den Blick zu den Rosenbeeten in der Mitte der Anlage wandern, wo ein Gärtner in grüner Latzhose den Boden mit einer Harke auflockerte. „ Komisch “, dachte Harald, „ der sieht ja aus wie Hanif? “
„Haaanif“, schrie der Vorarbeiter, der beim Toilettenhäuschen mit der Wärterin einen Kaffee am Campingtisch trank, „Haaanif! Pauseee!“
„Der muss es ja bitter nötig haben!“, feixte einer der Kegelbrüder, die zum Abschluss ihres alljährlichen Ausflugs diesmal durch die Herbertstraße zogen, als sich ein grauhaariger Mann in grüner Latzhose mit schmutzigen Sicherheitsschuhen einen Weg durch die Traube der Männer bahnte, der rassigen Melinda stolz zuwinkte und im Hauseingang verschwand, als ginge er hier ein und aus.
Wo der Pflug vom Rost gefressen,
wird sehr wenig Korn gegessen.
Unbekannt
Für eine Diät ist es nie zu spät oder wie Vera einen wunden Punkt trifft.
„Jetzt reicht's endgültig!“, stöhnte Marlies, die vergeblich versucht hatte, sich in ihr kleines Schwarzes zu zwängen. Sie hatte Jutta um Hilfe gebeten, den Reißverschluss auf ihrem Rücken zuzuziehen, doch es hatte nicht geklappt. „Nun geht Harald endlich mal wieder mit mir auf eine Feier - und dann auch das noch!“
„Beim besten Willen, meine Liebe“, heuchelte Jutta mit nur schwer versteckter Schadenfreude, „aber wenn ich den Reißverschluss mit Gewalt hochziehe, dann wird an irgend einer anderen Stelle etwas platzen oder reißen! Zieh doch dieses weite Ding mit den großen Blumen drauf an, was so nach Erntedankfest aussieht! Damit hast du ganz sicher noch keine Probleme!“
„Ich schwöre dir, das wird heute Abend die letzte Feier mit einem Essen! Ab Morgen mache ich Diät, aber gnadenlos! Bis mir die Sachen wieder passen!“, schimpfte Marlies mit sich selbst und zerrte sich das Kleid wütend wieder über den Kopf.
„Wir alle werden älter!“, versuchte Jutta sie zu trösten, die mit ihrer Figur noch nie Probleme gehabt hatte. „Damit muss man sich nun mal abfinden, meine
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