Die langen Schatten der Erleuchtung
einen Augenblick und trink´ eine Tasse Tee mit uns!“ Hanif rauchte eine Zigarette und schlürfte das heiße Getränk aus einem Plastikbecher.
„Ich erzähle euch alles heute Abend, jetzt muss ich wieder weiter“, bedauerte er „wir müssen heute noch einige verfallene Gräber ausheben. Da ist noch viel zu tun!“
Als Marlies und Käthchen ihre Gerätschaften wieder im Polo verstaut hatten, steuerte Käthchen, auf ihren sechsrädrigen Laufwagen gestützt, entschlossen das nahe gelegene Restaurant an. Marlies seufzte resigniert, schloss den Polo ab und folgte ihr. Sie aßen beide ein großes Stück Nußkuchen und tranken dazu ein Kännchen Kaffee. Mit Süßstoff - für den Anfang. Dann folgte ein Schnitzel mit Kroketten, roter Grütze und einem großen Eisbecher mit Sahne.
„Ist mir schlecht!“, stöhnte Marlies.
„Dagegen gibt es ´was!“, meinte Käthchen und bestellte beim Kellner zwei Cognac.
* * *
„Und wir hatten immer gedacht, du mähst in Planten un Blomen den Rasen oder schneidest die Rosenstöcke“, bemerkte Marlies irritiert. Sie fühlte sich vom Essen im Friedhofsrestaurant immer noch prall gefüllt. Wirst du nicht schwermütig bei dieser trostlosen Arbeit auf dem Friedhof, Hanif?“
„Ach, meistens ist es wie normale Gartenarbeit - Unkrautzupfen und Beete harken. Manchmal müssen wir aber am Wochenende nach einer Beerdigung die Gräber wieder zuschaufeln! Ich bin auch schon mal als Sargträger eingesprungen, als einer der Trauermänner ausgefallen ist. Die Sargträger sind auch arme Kerle, wenn du siehst, wie sie angeschlichen kommen, um sich ein paar Mark zu verdienen - müde und abgerissen und schon ein bisschen angetrunken. Dann ziehen sie sich um, und fünf Minuten später tragen sie schwarze Gewänder mit einer weißen Halskrause und einem dreieckigen Hut wie früher im Mittelalter eure Ratsherren und Pfarrer. Eigentlich ist keiner von uns in der Stimmung, ein trauriges Gesicht aufzusetzen. Manche haben gute Laune, weil sie schon beschwipst sind, die anderen sind verärgert, weil sie schon wieder pleite sind. Deswegen kippen wir vorher noch schnell einen gehörigen Schluck aus dem „Flachmann hinter die Binde“, wie sie hier so schön sagen. Dann wird der Sarg geschultert und los geht's! Immer schön gleichmäßig gehen. Und wenn alles vorbei ist, nach dem letzten Gebet des Pastors geht’s dann sofort hinter das nächste Gebüsch, um noch einen Schluck zu nehmen. Diesmal zur Aufheiterung! Denn lustig sind die Beerdigungen ja nun auch nicht gerade!“
Käthchen füllte sich zum zweiten Male Spinat in Gorgonzola-Sahne-Soße nach, denn sie hatte Marlies wohlweislich verschwiegen, dass es kaum Gerichte gab, die sie nicht mochte. Aber nur Spinat war auch nicht so ihr Fall. Das Essen im Friedhofsrestaurant hatte das Loch in ihrem Magen nur für ein Stündchen füllen können.
„Und was war das mit diesen verfallenen Gräbern heute, Hanif?“
„Das sind Gräber, bei denen die Verwandten den Grabplatz nicht mehr verlängern. Das kostet schließlich Geld. Und dann müssen wir die Gräber ausheben und Platz für einen neuen Kunden schaffen. Jeder Gast hat schließlich ein Anrecht auf ein Grab ohne die sterblichen Überreste seines Vorgängers! Wir machen sozusagen eine Endreinigung!“
„Und findet ihr da noch was?“, meinte Gerhard.
„Ja, natürlich! Alte vermoderte Knochen, den Schädel, das Gebiss. Künstliche Hüftgelenke, Reste vom Sarg! Einmal hatte ich einen vollständigen Unterkiefer mit gut erhaltenen Zähnen auf der Schaufel. Ja, ja – die Vergänglichkeit…“
„Und wo kommen die Reste dann hin?“
„Das weiß ich auch nicht so genau! Die werden wieder woanders beerdigt!“
An was er glaubte, keiner weiß Exaktes,
Doch die Ideen von ihm, sie hatten etwas Nacktes.
Lawrence Durrell
Gotti gibt Auskunft oder wie eine schmerzstillende Spritze Wunder wirkt.
Hanif war der einzige, der in dieser Versammlung Alkoholisches bestellt hatte. Vor ihm stand ein großes Glas Weizenbier. Ansonsten roch es im Clubraum Bei Costas heute nach Räucherkerzen, Weihrauch und Yogi-Tee. Costas bat um Verständnis bei den anderen Gästen: „Die Armen finden im ganzen Viertel keinen Wirt, der sie aufnimmt. Sie wollen alle mit ihnen nichts zu tun haben. Dabei finde ich sie ganz harmlos. Man muss
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