Die langen Schatten der Erleuchtung
Erste doppelte, gut belegte Toastscheiben diagonal durch. Dann bekommt ihr ihn wieder zu Kräften. Und besorgt euch die Stanzform eines Dreiecks, damit könnt ihr dann auch Fleisch und anderen Sachen die gewünschte Schnittform verpassen!“
„Wenn sich diese interessante Theorie bewahrheiten sollte“, meldete sich Lore Swoboda-Schimmelpfennig zu Wort, „könnte man ihm auch ein paar geschmacksneutrale Aufheller untermischen, das dürfte ihm nicht schaden!“
Und so war es auch. Mit einem wahren Heißhunger stürzte sich Gary über die diagonal geteilten Toastbrote. Die Aufheller von Lore Swoboda-Schimmelpfennig taten ihren Teil dazu. Nach zwei Tagen verließ Gary Bett und Zimmer. Überglücklich verfolgten sie seinen Gang zur Terrassentür. Alle waren ein wenig irritiert, als Gary im Garten begann, offensichtlich seine Schritte zu zählen, wobei er sich bemühte, ihnen die Länge eines vollen Meters zu geben. Er wirkte wie ein um seine Geräte beraubter Landvermesser, der sich auf diese Weise zu behelfen suchte. Doch was war diese kleine Marotte schon gegenüber den trostlosen und ungewissen Tagen zuvor?
„Harald“, bat Marlies, „gehe ihm bitte nach und achte darauf, dass ihm nichts passiert!“
Harald kam im Dunkeln wieder zurück, unmittelbar nach Gary. Jutta hatte inzwischen dreieckige Back- und Stanzformen besorgt. Mit strahlender Freude packte sie zum krönenden Abschluss ein dreieckiges Trinkglas aus. Gary verschwand wortlos auf seinem Zimmer und machte sich über seine magischen Dreiecke in den verschiedenen Größen her.
„Ob ihr’s glaubt oder nicht“, stöhnte Harald, „er hat die ganze Zeit die Piazza mit riesigen Schritten vermessen. Die Leute waren schon richtig irritiert, weil sie dachten, da sind irgendwelche Spaßmacher vom Fernsehen unterwegs. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt!“
Diese Angewohnheit des Schrittezählens sollte Gary von nun an wie eine Mission beibehalten. Tag für Tag verließ er das Haus und begann, sobald er den Garten betrat, augenblicklich in seinen abzählenden Wiegegang zu verfallen, da ein Meter weit über seine natürliche Schrittlänge hinausging. Er strich stets auf der Piazza umher und entfernte sich bei seinen Vermessungen nie weit von ihr. Wenn er müde wurde, legte er sich auf eine der Sitzbänke. Bald gehörte er zum festen Bild der Piazza. Er wurde in den Stadtteil-Anzeigern erwähnt und abgebildet. Man gab ihm den Namen: Der Schreiter . Fragte man ihn nach dem Grund seines Abschreitens, antwortete er, wenn überhaupt, in einem mehrsprachigen Kauderwelsch, das niemand verstand. Da er nun bei jedem Wetter den gesamten Tag über an der frischen Luft war, erfreute er sich bester Gesundheit und bekam auch nicht wie sonst im Herbst eine starke Erkältung. Sein Appetit war hervorragend, er bekam eine frische Gesichtsfarbe wie ein Naturbursche. Das Personal vom Sonnenstudio um die Ecke musterte ihn argwöhnisch.
Lore Swoboda-Schimmelpfennig lieferte kaum zwei Jahre später eine sensationelle Doktorarbeit ab. Ihr Titel: „ Das magische Dreieck und die Unendlichkeit der Schritte. Eine Fallstudie “. Sie verließ kurz darauf das Sozialamt und folgte dem Ruf an eine Schweizer Universität.
Der Reiz des Alkohols beruht auf der beachtlichen Wirkung,
dem Gehirn die Illusion zu vermitteln, dass es „fühlt“.
Anonym (ehemaliger Alkoholiker)
Harald auf Schlingerkurs oder wie Dr. Kicoka ihn vom Alkohol kuriert.
Jojo hatte es in den folgenden Tagen noch mehrmals versucht:
„Harald, die meisten Menschen spielen in ihrem Leben eine Rolle, ohne es überhaupt je zu bemerken. Sie schlüpfen in alle möglichen Verkleidungen, um von den anderen akzeptiert, respektiert und geliebt zu werden! Sie möchten für klug, tüchtig und ehrgeizig gehalten werden. Was immer sie sich ausdenken – mit all ihrem Wissen und in ihrer Aufmachung sind sie kein bisschen mehr wert als du! Aber nimm´ es nicht persönlich: Du träumst nur und die anderen genauso! Keiner ihrer Gedanken ist es wert, als etwas Besonderes angesehen zu werden! - Deine Rolle als verantwortungsbewusster und fleißiger Angestellter ist jetzt ausgeträumt. Ich verstehe ja, dass du unter dem Verlust leidest. Aber nun zu trinken und sich selbst zu bedauern, wie du das jetzt tust - das ist nur wieder eine neue Traum-Rolle!“
„Und welche Rolle spielst du, Meister Jojo?“, hatte Harald nur müde
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