Die Lanze des Herrn
gleich mit dem Heiligen Vater.«
Mühsam erhob er sich.
»Geben Sie uns unbedingt sofort Bescheid, wenn weitere E-Mails eintreffen«, fuhr er fort und legte kurz die Hand auf Schwester Emilys Unterarm.
Sie nickte. Nachdem sie das leere Vorzimmer durchquert hatten, denn auch der Privatsekretär des Kardinals war noch nicht auf seinem Posten, begab sich Dino Lorenzo zu den Räumen des Papstes, und Schwester Emily schlug ohne ein weiteres Wort die entgegengesetzte Richtung ein.
Der Kardinal spürte, dass er am ganzen Leib zitterte. Er hob zögernd die Hand zum Kopf, hustete und schüttelte den Kopf, wie um aus einem bösen Traum zu erwachen. Er blinzelte, aber jetzt war nicht der Augenblick, schwach zu werden. Erneut sah er ungläubig auf die Nachricht in seiner Hand. »Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr«, sagte er leise zu sich. »Wann hört das endlich auf?«
Er beschleunigte den Schritt, durchquerte den Vorraum mit dem Marmorboden, blickte auf das Kreuz und das Wappen des Vatikans und gab den Schweizern ein Zeichen. Er traf den Papst im Gebet an. Im Osten wurde der Himmel hell. Clemens XVI. hatte die Augen geschlossen und sprach in seinem makellosen Gewand mit zusammengelegten Händen, den Kopf gesenkt, einen Psalm.
Dino Lorenzo wartete. Endlich erhob sich der Heilige Vater, bekreuzigte sich und wandte sich ihm zu. Der Kardinal reichte ihm die Blätter.
»Von Schwester Emily«, sagte er. »Axus Mundi. Die Nachrichten sind im Abstand von zehn Minuten eingetroffen. Die erste ist offenbar von unserem Judas oder besser gesagt, ihrem. Die zweite ist allem Anschein nach von der obersten Spitze.«
Clemens XVI. überflog die Ausdrucke.
Du musst dich beeilen, liebe Kirche. Das Blut Christi ist nämlich bereit. Bald wird die Leihmutter da sein. Dann kann ihr die Lanze begegnen für die schönste aller Befruchtungen. Und die Menschheit wird Gott begegnen, wie Mose ihm am Sinai begegnete…
Die zweite E-Mail lautete:
Der Augenblick ist gekommen, Euer Heiligkeit.
Bald ist der Messias wieder da. Dann habe ich die Macht, das Gesicht der Welt zu verändern, und das wissen Sie.
Es liegt ebenfalls in meiner Macht, von meinem Plan Abstand zu nehmen.
Wenn das Experiment abgeschlossen ist, werde ich es mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln publik machen. Wie ein Lauffeuer wird die Nachricht um die Welt gehen, und dazu bedarf es nur eines Winks meinerseits. Sie wissen ja, wie schnell die Medien auf diese Art Mitteilung reagieren. Die Welt wird in kürzester Zeit wissen, dass Sie die Möglichkeit hatten, den Lauf der Dinge zu ändern und es nicht getan haben.
Wir könnten allerdings zu einer Einigung kommen.
Der Vatikan ist reich. Reich an Kultur und Geschichte, und überhaupt.
Zum Auftakt legen Sie die Summe von einer Milliarde amerikanischer Dollar bereit, dann werden weitere Anweisungen folgen.
Sollten Sie sich weigern, werde ich das Gerücht verbreiten, und den Beweis in dem Augenblick liefern, den ich für nützlich halte. Ebenso wird auf ganz legalem Weg das Patent für das von uns entdeckte Verfahren angemeldet.
Ganz der Ihre
GOTT
Der Papst traute seinen Augen nicht.
»Nun wissen wir also, was hinter dem skandalösen Unternehmen steckt«, sagte er.
Seine sonst so heiteren Gesichtszüge waren düster.
»Erpressung und Geld.«
Er presste die Lippen aufeinander.
»Das ist ja wesentlich prosaischer.«
Sie schwiegen eine Weile, dann stand der Papst auf und trat ans Fenster.
»Das Leben als Ware. Und wir sollen das Geld dafür bereitstellen.«
»Ich glaube, ich fange an, die Sache zu durchschauen. Dieser Guru von Axus Mundi ist nicht so dumm, wie es scheint. Er ist sogar ziemlich raffiniert. Verstehen Sie? Die Forscher, die er angestellt hat, sind vielleicht wirklichkeitsfremde Schwärmer, die möglicherweise überzeugt sind, dass sie ihr Projekt erfolgreich zu Ende bringen. Aber ihr Chef hält sich noch ein Hintertürchen offen. Wenn seine Leute es schaffen, verfügt er über ein Druckmittel und wird nicht zögern, es die Welt wissen zu lassen. Egal, was passiert, er kann nur gewinnen.«
»Die glauben doch wohl nicht, dass wir uns unter Druck setzen lassen. Vor allem, wenn alles nur ein Bluff ist!«
»Natürlich nicht. Das steht außer Frage. Aber was ist, wenn wir zu spät kommen? Und wie kommen wir an Beweise?«
Der Kardinal schwieg eine Weile, dann legte er zwei Finger an den Mund.
»Ach, ich verstehe. Das ist geschickt.«
»Damit rechnet er doch, und zwar schon jetzt. Er weiß, dass
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