Die Lanze Gottes (German Edition)
als ihr Tagewerk von einem verzweifelten Hilferuf unterbrochen wurde. Das Schreien kam von oberhalb der Anhöhe, an deren Fuße sich die alte Eiche befand. Die beiden hielten sich häufig hier auf, um Alraunen zu sammeln, da sie in der Nähe des Baumes wuchsen. Normalerweise kam kaum jemand hierher. Andererseits war es nicht weit bis zur Handelsstraße. Vielleicht hatte sich ein Wanderer oder Kaufmann verirrt.
Konstanze blickte zu Asbirg, die ihre Stirn runzelte und sagte: »Lass uns nachsehen, ob jemand Hilfe braucht.«
Sie folgte Asbirg, die zielstrebig die Anhöhe hinaufging. In einem Gestrüpp entdeckten sie einen Mann. »Zu Hilfe! Oh Herr Jesus Christus, warum hilft mir denn keiner?«
Konstanze blickte erschrocken zu Asbirg und bemerkte, wie sich deren Miene verfinsterte, als sie den am Boden liegenden erkannte. Es handelte sich um den Dorfpriester des Oberdorfes. Sie war ihm immer aus dem Weg gegangen. Asbirg hatte ihr das eingeschärft, denn der Priester hasste Menschen wie sie. Blut quoll aus einer
Stichwunde am Bauch. Offensichtlich war der Priester in einen Kampf verwickelt worden.
»Helft mir, bitte! Ich bin von Gesetzlosen überfallen worden«, wimmerte er, doch gleich darauf erkannte er Asbirg. »Du bist es, Hagazussa!« Bei aller Abneigung schien ihm bewusst zu werden, dass er ohne Hilfe hinter diesem Baum verbluten würde, deswegen besann er sich und flehte: »Bitte, ihr müsst mir helfen!«
Konstanze blickte zu Asbirg. Normalerweise half sie jedem, der ihre Heilkunst benötigte, doch jetzt rümpfte sie verächtlich die Nase und musterte den Mann mit einem überlegenen Lächeln. »Ja, ja, die Wege des Herrn sind unergründlich. Und manchmal holt er seine Lieblingsdiener früher zu sich, als diesen lieb ist!«
»Helft mir, bitte!«
»Warum sollte ich das tun?«, sagte Asbirg mit einer Kälte in der Stimme, die Konstanze befremdete.
»Eure Christenpflicht verlangt es. Ihr könnt mich doch nicht einfach so hier liegen lassen!«
Asbirg lachte laut auf. »Meine Christenpflicht? Lebt wohl, Priester!« Dann drehte sie sich um und schickte sich an, die Anhöhe zu verlassen. Konstanze blickte ihr verwundert nach, schaute noch einmal auf den verwundeten Mann und lief ihr hinterher.
Sie hielt Asbirg an der Schulter fest. »Wir können doch nicht einfach so gehen. Wir müssen ihm helfen.«
Missmutig blickte Asbirg sie an. »Damit er uns bei nächster Gelegenheit als gottlose Heiden umbringen lässt, wenn er die Möglichkeit dazu hat?«
Konstanze blickte noch einmal zu dem verwundeten Mann zurück. Sie verstand Asbirg nicht. Ein Mensch brauchte Hilfe. Die Heilerin war doch sonst nicht so hartherzig. Sicher, der Priester war ihr nicht besonders sympathisch, aber ihn einfach liegen lassen? »Es ist nicht recht, Asbirg, und du weißt es.«
Einen Augenblick schwieg ihre Lehrmeisterin, dann brummte sie: »Na gut, aber ich glaube nicht, dass uns Gutes daraus erwächst. Er wird Probleme machen, ich kenne ihn. Er ist nichts weiter als eine verblendete Schlange.«
Sie gingen zurück und Asbirg baute sich vor dem am Boden liegenden Mann auf. »Wenn ich dir helfe, Priester, schwöre bei deinem Gott, dass du uns fortan in Ruhe lässt und nie wieder ein unwahres Wort über uns in die Welt setzt!«
Angstvoll wanderten seine Augen zwischen Konstanze und Asbirg hin und her, dann sagte er: »Ich schwöre bei Gott.«
Sie halfen ihm auf die Beine und der Priester brüllte. »Es geht nicht! Es geht nicht!«
»Stell dich nicht so an!«, herrschte Asbirg ihn an. »Wenn ein sündiges Weib, wie du die Frauen nennst, ein Kind gebiert, empfindet sie mehr Schmerzen!«
Nach einer Weile hatte sie den Weg zur Hütte endlich geschafft, dem Priester die Schmerzen gelindert und seine Wunden versorgt. Jetzt schlief er. Am Abend stellte Konstanze Asbirg zur Rede und fragte, warum sie dem Dorfpriester nicht helfen wollte. Doch diese gab ihr zu verstehen, dass sie nicht darüber sprechen wollte, also schwieg Konstanze.
Einige Tage später hatte sich der Dorfpriester einigermaßen erholt, er saß schon wieder auf dem Schlaflager und redete von seinem Christengott. Konstanze hörte ihm geduldig und interessiert zu, wenn sich Asbirg jedoch in der Hütte aufhielt, schwieg der
Priester.
Konstanze bemerkte, dass Asbirg immer stiller wurde, ein untrügliches Zeichen, dass ihre Lehrmeisterin bedrückt war. Hing es mit dem Priester zusammen? Irgendetwas verband die beiden, doch Asbirg rückte nicht mit der Sprache heraus.
An einem der
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