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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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vor meiner Wohnungstüre die gesamte Nachbarschaft versammelt. Der Hausmeister in Unterhosen und Rippenunterhemd. Wo, Grundgütiger, war seine Jogginghose?
    »Frau Trost!«, schrie Frau Kellermann aus dem obersten Stock. »Wir kommen jetzt rein!«
    Dä! Der Fluch hatte wieder zugeschlagen. Die Waschmaschine, dachte ich. Jetzt war es also passiert.
    »Guten Abend«, sagte ich leise und erklomm tapfer die letzten Stufen.
    Alle Köpfe fuhfen herum.
    »Gott sei Lob und Dank!«, schrie der Hausmeister und drückte mich an sein Unterhemd. »Wir dachten schon, Sie wären ... hm, Sie wissen schon!«
    Ertrunken? Ich schauderte. Aber nirgendwo war ein Tropfen Wasser durch die Ritze gedrungen.
    Nein, die Waschmaschine konnte es nicht sein.
    Hatte ich den Herd angelassen und die Wohnung in Brand gesetzt? Ich sah ratlos in die Runde.

    »Dat wor 'ne furschbare Krach!«, erklärte mir die Hausmeistersgattin.
    »Hörte gar nicht auf!«, ergänzte Frau Kellermann.
    »Wollen wir nicht mal nachsehen?«
    Ich nickte ängstlich und schloss mit zittrigen Händen die Türe auf. Hinter mir drängte sich die Nachbarschaft in den Flur. Dort herrschte gespenstische Ruhe. Ein Blick nach links ins Bettzimmer, und ich sah die
    Katastrophe. Die Bücherregale waren in voller Länge und Höhe von der Wand gekommen. Die langen Bretter und alle meine Bücher hatten sich im Raum verteilt. Die vielen schönen Gipsengelchen waren zu weißem Staub zermahlen, der Fußboden, das Bett, der Teppich, selbst die Fensterbank, fünf Meter entfernt, alles war mit Büchern bedeckt. Wenn ich mich in diesem Raum aufgehalten hätte, wäre ich vermutlich erschlagen worden. Oder der Kater -
    »Rothenberger!«, brüllte ich erschrocken.
    »Die Katz sitzt op däm Tisch do«, sagte der Hausmeister in gemessenem Tonfall.
    Er stand mit den anderen Nachbarn im
    Türrahmen, und ich sah deutlich das Entzücken in ihren Gesichtern. Rothenberger schnurrte und stupste seinen Kopf in meine Hand, als ich ihn streichelte.
    »Ach du je!«, ließ sich Frau Kellermann jetzt vernehmen, und Herr Kellermann zückte seine Pocketkamera.
    »Ich habe noch nie so viele Bücher gesehen«, sagte er entschuldigend zu mir. »Ich mache Ihnen aber gern Abzüge. Für die Versicherung. Oder für Ihr Album zur Erinnerung.«

    Ich blieb stumm. Der Fernseher lag mit dem Gesicht nach unten auf der Gesamtausgabe von Jules Verne. Ein Wunder, dass er nicht implodiert war oder was Fernseher sonst bei solchen Gelegenheiten tun.
    Der Hausmeister betrachtete derweil die faustgroßen Löcher in der Wand, wo die Dübel gesessen hatten.
    »Wat sind denn dat für Dübel jewesen?« Er hob einen vom Boden auf. »Sechser!«, jauchzte er und kratzte sich triumphierend an der Unterhose.
    »Sechser für 'n Bü- scherrejal! Wat wor dat dann für
    'ne Experte?«
    Seine Worte rissen mich aus meiner

Schocklethargie.
    Der Experte war Till gewesen, mein damals noch nicht Ex-Freund. Der würde was zu hören bekommen! Nachdem sich die Nachbarn widerwillig zurückgezogen hatten - »da werd isch meinen Kindern noch von erzählen, dat können Se mir jlauben« -, schaufelte, baggerte und grub ich mir den Weg zum Telefon frei und wählte Tills Nummer.
    Ich erinnerte ihn an jenen schönen
    Frühlingsnachmittag, an dem er mir etwas über die Tragkraft von Dübeln im Allgemeinen und Besonderen erzählt hatte und darüber, was man in mein Regal nun alles stellen könnte. Anschließend versuchte ich eine ungefähre Beschreibung des jetzigen Zustands von Regal, Inhalt und Wand zu liefern.

Till lachte herzlich.
    »So was passiert auch nur dir«, japste er, und ich konnte förmlich sehen, wie er sich die Lachtränen von der Backe putzte.
    Ich forderte ihn auf, sofort herzukommen und das Chaos zu beseitigen. Aber Till sagte, das ginge nicht. Er würde aber bei der nächsten Gelegenheit vorbeikommen und das Regal wieder andübeln.
    Ehrenwort. Ich warf stinkesauer den Hörer auf die Gabel.
    Mitten in der Suche nach eventuell überlebenden Gipsengeln rief Nina an. Als ich ihre Stimme hörte, fiel mir wieder ein, was Oma von Eva Märker erzählt hatte. Ich versuchte, es Nina schonend beizubringen.
    »Stell dir mal vor, wer gestorben ist«, sagte ich mit Grabesstimme.
    »Keine Ahnung«, antwortete Nina. »Aber mir ist jeder recht.«
    \
    »Eva. Eva Märker!«
    »Eva? Unsere Eva? So ein Blödsinn.«
    »Doch, es ist wahr. Meine Oma hat es gesagt. Und die ist mit Evas Großeltern im Altenclub.«
    »Felicitas, das ist ausgeschlossen. Ich habe Eva erst

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