Die Laufmasche
grimmig. »Kannst du dir vorstellen, was in mir vorging, als ich auf einmal Evas Stimme aus dem Jenseits hörte?«
»Ja. Es muss furchtbar gewesen sein.«
»Das war es.« Nina schwieg wieder.
»Sei mir nicht mehr böse, ja? Meine Oma hat es wirklich steif und fest behauptet.«
»Deine Oma hat letztes Jahr auch Hannelore Kohl beim Bäcker gesehen, weißt du noch?« Nina kicherte los.
Ich kicherte ebenfalls erleichtert. »Kommst du trotzdem mit zur Wohnungsbesichtigung?«
»Ich komme, wenn Robert sich um Kristins Abendessen kümmert«, sagte Nina.
Das tat Robert natürlich. Er gehörte zu dieser Sorte Mann.
Die angegebene Adresse lag in einer ruhigen Straße mit vielen Bäumen. Nina parkte den Wagen vor Hausnummer 33. Ich hatte mich, um einen seriösen Eindruck zu erwecken, in mein tags zuvor bewährtes Dressurreiterin
nen-Outfit geworfen. Dem älteren Herrn, der uns die Tür öffnete, schien es auf Anhieb zu gefallen. Seine Augen leuchteten richtig auf.
»Sie sind das Fräulein Trost, nehme ich an«, sagte er freundlich und schüttelte mir die Hand. »Mein Name ist Peters.«
»Das ist meine Freundin Nina Hempel«, sagte ich händeschüttelnd. »Sie ist mir bei der Wohnungsauswahl behilflich.«
Herr Peters schüttelte auch Ninas Hand. »Eine Freundin, wie schön. Meine Frau und ich hatten allerdings gehofft, dass Sie mit Ihren Eltern kommen. Dann hätten wir diese gleich kennen gelernt. Aber bitte, kommen Sie doch durch, in unsere gute Stube.« In der guten Stube, ganz in imitierter Eiche rustikal, wartete eine adrette dauergewellte Dame auf dem Sofa. Neben ihr ruhte ein altersschwacher Langhaardackel auf einer separaten Dackeldecke.
»Das Fräulein hat eine Freundin mitgebracht, Mutti«, sagte Herr Peters.
»Waren Ihre Eltern verhindert?«, wollte die Dame wissen, die dem Alter nach unmöglich Herrn Peters'
Mutti sein konnte.
»Ja, ich, nein, eigentlich«, stotterte ich verwirrt.
»Ihre Eltern wohnen sehr weit weg«, erklärte Nina an meiner Stelle. »Im Norddeutschen.«
»Das ist ja interessant«, meinte Herr Peters und ließ sich neben Frau und Dackel auf dem Sofa nieder. Nina und ich nahmen auf den beiden freien Sesseln Platz. »Wo denn in Norddeutschland?«
»Ja, ich, nein, eigentlich«, stotterte ich wieder, aber Nina wählte den nördlichsten Punkt, der ihr einfiel: »Auf Sylt.«
»Das ist wirklich sehr weit weg, nicht wahr, Mutti«, meinte Herr Peters. »Darf ich denn fragen, was Ihr Herr Vater von Beruf ist?«
»Lehrer«, sagte ich wahrheitsgemäß, aber Nina fügte hinzu: »Ihr Herr Vater ist Oberstudiendirektor am Gymnasium von Westerland.«
Das freute Herrn Peters und seine Mutti irrsinnig.
»Oberstudiendirektor«, wiederholten sie im Chor.
»Oberstudiendirektor an einem Gymnasium.«
Ich trat Nina auf den Fuß. Nina trat fröhlich zurück.
Für sie war das alles nur ein lustiges Spiel.
»Und was haben Sie studiert, liebes Fräulein Trost?«, wollte Herr Peters wissen.
Meine Antwort freute die beiden wieder über alle Maßen.
»Können wir Ihre Zeugnisse sehen?«, bat Herr Peters und setzte erklärend hinzu: »Da kann man sich immer das beste Bild von einem Menschen machen, finde ich.«
»Ich, ja, nein, eigentlich«, sagte ich* einfallslos, aber Nina erklärte: »Wie dumm von uns! Wir haben gar nicht daran gedacht, Felicitas' Zeugnisse einzupacken. Dabei können sie sich wirklich sehen lassen.«
»Das macht ja auch nichts«, meinte Herr Peters gütig. »Es reicht, wenn Sie sie uns später noch einmal vorlegen. Sie müssen verstehen, dass wir uns unsere zukünftige Mieterin auch ganz genau anschauen wollen. Wenn man so eng aufeinander wohnt, dann muss das Niveau schon stimmen.
Dafür bieten wir schließlich auch einiges.«
Richtig, die Wohnung. Vierzig Quadratmeter mit Gartennutzung für fünfhundert warm. Dafür konnte man auch schon mal seine Zeugnisse herzeigen. Ich riss mich zusammen. »Vielleicht dürfen wir die Wohnung jetzt mal besichtigen?«, schlug ich vor.
»Wir können dann nachher noch weiterreden.«
Herr Peters erhob sich sofort. »Das ist eine gute Idee«, fand er. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Er führte uns in den Flur zurück, dann die Keller-treppe hinab, durch einen schmalen, dunklen Gang.
Wir schritten im Gänsemarsch hintereinander her.
Vorneweg Herr Peters, dahinter Nina, dann ich. Mutti und der Dackel folgten mit etwas Abstand. Mir war gar nicht wohl bei der Sache, so als ob uns hier unten eine Sa- domaso-Höhle mit vielen furchtbaren,
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