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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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verblüfft die Augen auf. Ich hatte auf meinem Weg nach oben nicht viele Mitarbeiter zu Gesicht bekommen, aber so alt hatten die jetzt auch wieder nicht ausgesehen! Wolf erklärte mir, dass alle Mitarbeiter, die in den letzten hundert Jahren ausgeschieden seien, dies erst im Rentenalter und darüber hinaus immer sehr widerwillig getan hätten, wenn sie nicht vorher eines natürlichen Todes gestorben seien.
    »Wir sind hier alle« - räusper, räusper -, »sagen wir so, eine große Familie. Und es ist bei uns Usus, dass wir ein neues Familienmitglied, hahaha, sozusagen erst mal gründlich prüfen.«
    Ich tat, als sei ich schrecklich beeindruckt. Wolf musterte mich wohlgefällig. »Das heißt aber nicht, dass wir hier keinen Platz für dich haben. Sagen wir mal so«, hub er wieder an, »aus den genannten Gründen kann ich dir leider keine feste Stelle anbieten. Aber zu tun gibt es in einer Firma wie dieser, sagen wir mal so, in einer Firma wie dieser gibt es immer etwas zu tun.«

Ich wartete.
    »Das heißt, dass ich dir, wenn du das möchtest, erst mal eine Arbeit auf Zeit anbieten könnte.«
    »Und was wäre das für eine Arbeit?« Leider war Wolf kein Kassettenrecorder, sonst hätte ich ihn spätestens jetzt vorgespult. Geduld war noch nie meine Stärke gewesen.
    »Nun« - räusper -, »da geht es um einen englischsprachigen Katalog«, erklärte er. »Den wollen wir, sagen wir mal so, neu für unsere englischsprachigen Kunden erstellen.«
    Ein englischsprachiger Katalog für
    englischsprachige Kunden. Wer hätte das gedacht?
    »Und was würde ich dabei zu tun haben?«
    »Es geht um die Eingabe der englischen Artikelbezeichnungen in den Computer. Sagen wir mal so, das ist bei über viertausend Artikeln, hahaha, schon Arbeit für ein paar Wochen. Und dann können wir ja weitersehen. Wenn du uns zusagst.«
    Ich sagte zu. Weil eine Arbeit auf Zejt, räusper, sagen wir mal so, immer noch besser war als überhaupt keine Arbeit.
    »Wann kannst du anfangen?«, fragte Wolf.
    »Übermorgen«, sagte ich. Einen Tag Pause wollte ich mir noch gönnen.
    Am nächsten Morgen rief meine Mutter an, um mich wieder daran zu erinnern, dass es nun an der Zeit sei, die Ärmel hochzukrempeln und mich dem Leben zu stellen. Als sie hörte, dass ich gleich morgen bei Hoppe und Partner hinter dem Computer sitzen würde, war sie hocherfreut.
    »Es ist nur ein Aushilfsjob«, versuchte ich ihr zu erklären. »So was kann jeder Depp!«
    »Aber es kann was Richtiges daraus werden«, antwortete meine Mutter froh. »Jeder fängt mal klein an.«
    »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«, entgegnete ich. Meine Mutter verstand nicht, was ich und der Krug gemeinsam hatten.
    »Lass dich nicht so hängen«, meinte sie. »Von jetzt an geht es aufwärts.«
    Und siehe da, sie hatte recht: Im Briefkasten war tatsächlich Post vom Stadtanzeiger wegen meiner Wohnungsannonce. Ein einziger handgeschriebener Brief eines älteren Herrn, der mir eine kleine Wohnung mit Gartennutzung im Kölner Norden anbot. Aber immerhin! Ich krempelte die Ärmel hoch und stellte mich dem Leben, indem ich sofort die angegebene Nummer wählte.
    Der ältere Herr klang sehr väterlich, und die Wohnung mit Gartennutzung schien das reinste Paradies zu sein. Vierzig Quadratmeter, nur fünfhundert warm! Ich fragte, ob ich am frühen Abend zu einer Besichtigung vorbeikommen dürfe. Ich durfte.
    Begeistert rief ich Nina an, um sie zu fragen, ob sie mich dorthin begleiten könne. Weil man bei älteren Herren ja nie wissen kann.
    Nina hörte sich ausgesprochen kühl an.
    »Ist was?«, fragte ich sie.
    »Es ist wegen Eva«, antwortete! Nina.
    »Ja, das ist traurig. So jung zu sterben! Ich muss die ganze Zeit daran denken.«
    Nina schwieg ein paar Sekunden. »Wenn das so ist«, meinte sie schließlich, »wird es dich sicher freuen zu hören, dass Eva überhaupt gar nicht tot ist.«
    »Was?«
    »Ja, du hast richtig gehört. Sie ist vollkommen lebendig.«
    »Wie ist das möglich?«
    »Sie war überhaupt nicht tot, du Idiotin«, sagte Nina ärgerlich.
    Aber Oma hatte doch ...! Oh, mein Gott.
    »Wie peinlich«, flüsterte ich.
    »Was meinst du, wie peinlich mir das erst ist. Ich habe überall angerufen und es allen schonend beigebracht. Peter hat sogar schon an einem Nachruf gearbeitet. Und dann hat Eva bei mir angerufen und gefragt, warum ich allen Leuten erzähle, dass sie gestorben sei.«
    »Es tut mir ja so Leid«, beteuerte ich. »Kannst du mir verzeihen?«
    »Nein«, sagte Nina

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