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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Eltern den Appetit zu verderben, indem ich ihnen das
    Kündigungsschreiben des Vermieters neben den Teller legte.
    »O nein«, stöhnte meine Mutter und legte tatsächlich das Besteck zur Seite. »Als wärst du vom Schicksal nicht schon gestraft genug.«
    Mein Vater stöhnte ebenfalls sorgenvoll, aber er schritt gleich zur Tat. »Akademikerin mit Katze sucht kleine Wohnung mit Balkon«, lautete der Text der Anzeige, die er an den Stadtanzeiger faxte, noch ehe der Braten kalt war.
    »Wenn ich euch nicht hätte«, sagte ich, als ich genug grüne Bohnen in mich hineingestopft hatte.
    Und weil ich so dankbar war, machte ich meinen Eltern eine große Freude, indem ich das Ende meiner Beziehung zu Till verkündete.
    »Ein Lichtstrahl in diesen düsteren Tagen«, sagte meine Mutter, und ihr Appetit kehrte zurück.
    Als wir beim Nachtisch-Vanillepudding mit Schokoladensoße angekommen waren, klingelte Frau Hoppe, Natterlies Mutter, an der Haustür.
    Hoppes bewohnten das mit Abstand stattlichste Haus der Straße. Es machte deshalb so viel her, weil es dreimal so groß war wie die anderen Häuser. Die Hoppeschen Autos waren ebenfalls ein paar Nummern größer, weswegen auch ein Großteil ihres Gartens Garagen hatte weichen müssen.
    Wie ihre Tochter hatte auch Frau Hoppe keinen eigenen Stil. Sie kopierte mit Erfolg den Stil der in den Hochglanzmagazinen abgebildeten
    Nobelhandtaschen- boutiquebesitzerinnen, die Haare straff nach hinten im Nacken
    zusammengebunden, schweren Marken- Schmuck an den Handgelenken und unbequeme Buch-stabengürtel um die Hüften, die das rätselhafte Wort MOSCHINO bildeten.
    Als meine Oma ihre Stimme draußen im Flur hörte, legte sie angewidert den Löffel auf die Seite.
    »Dieses Fraumensch wieder«, sagte sie.
    Fraumensch war das schlimmste Schimpfwort, das sie kannte. Nicht mal die diebische Dietrich nannte sie so. Nein, Oma hatte keine gute Meinung von den Hoppes. 'Der Mann ist ja ein armer Kerf, pflegte sie zu sagen. >So dumm, dass es einem in den Augen wehtut. Aber die Tochter ist ein falsches Luder. Wie die dich immer schikaniert hat früher ...< -Das war doch eher umgekehrt«, widersprachen dann meine Eltern und führten die alte Geschichte an, in der Nina und ich mit Natalie Indianer gespielt, sie an einen Marterpfahl gebunden, mit Seife gefüttert und anschließend dort vergessen hatten. Erst ein Spaziergänger hatte die aus dem Mund schäumende Natalie befreit,
    Stunden später. Für meine Eltern war die Geschichte ein Musterbeispiel kindlicher Grausamkeit. Aber Oma war immer noch der Meinung, dass Natalie diese kleine Marter verdient hatte.
    ■Falsche Kröte, das Mädchen, sagte sie etwa.
    >Und dann diese fiesen, kläffenden Köter. Pissen immer an unsere Hecke. Aber die Mutter ist die Allerschlimmste von der Sippe.- Sie war heute von Kopf bis Fuß in leuchtendes Hellgrün gekleidet.
    Irgendjemand musste ihr mal gesagt haben, dass ihr diese Farbe besonders gut stünde. Wer immer es gewesen war, er hatte gelogen.
    »Hoppala, da störe ich wohl beim Essen?«
    »Ja«, sagte Oma, aber meine Mutter beteuerte:
    »Nein, du störst überhaupt nicht, Roswitha.«
    Frau Hoppe hätte lieber Sybill Gräfin von mit Vornamen geheißen, aber das Schicksal hatte ihr einen Namen gegeben, der perfekt zu ihrer Tünnesnase passte. Eine Zeit lang hatte sie versucht, Freunde, Verwandte und Bekannte dazu zu bringen, sie Patrizia zu nennen. Patrizia sei ihr geheimer zweiter Vorname, hatte sie behauptet. Der Name war so geheim, dass er nicht mal auf ihrer Geburtsurkunde stand. Aber gegen Roswitha hatte sich Patrizia nicht durchsetzen können.
    Mein Vater rückte ihr einen Stuhl zurecht und bot ihr Sonntagsbraten mit Butterböhnchen und Kartoffeln an. Vielen Dank, aber bei Hoppes aß man mittags niemals warm. Und wenn, dann Trennkost.
    »Das ist ja schön, dass du deine Eltern mal wieder besuchst, Felicitas«, sagte Frau Hoppe zu mir.
    »Unsere Natalie und ihr Freund kommen heute Abend auch zum Essen.«
    Natalie-in-den-Brennnesseln hatte einen Freund?

    Oma und ich zogen erstaunt die Augenbrauen in die Höhe.
    Mit neunundzwanzig schon Doktor und Sozius in einer noblen Rechtsanwaltskanzlei. Die Eltern besaßen Haus und Segeljacht auf Ibiza und eine Villa mit Hauspersonal in Wuppertal, ließ uns Frau Hoppe ungefragt wissen. Oma rülpste respektlos.
    »Wolf und ich sind sehr von ihm angetan«, meinte Frau Hoppe abschließend. »Deine Mutter sagt, dass du immer noch ganz verzweifelt auf der Suche bist,

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