Die Laufmasche
Strecke geblieben.«
Ich fand es relativ unhöflich, dass er sich keine Mühe machte zu verbergen, dass auch ich seinen Ansprüchen nicht genügte. Deshalb setzte ich eine möglichst höhnische Miene auf.
Ralf störte das nicht. »Ganz klar, die wenigsten haben bei mir eine Chance. Die meisten scheitern schon mal an meinem Schönheitsideal. Meine Traumfrau sollte, wie gesagt, brünett sein, langhaarig, sehr schlank, Typ Demi Moore, wenn du die kennst. Tja, und Emanzen kriegen sowieso keine Schnitte bei mir.«
»Felicitas ist keine Emanze«, mischte sich Nina ein, die lautlos hinter uns getreten war und den letzten Satz mitbekommen hatte. »Sie will nichts als ein Haus, Mann und Kinder, die sie den lieben langen Tag umsorgen kann.«
»Aber da sind schon unzählige Anwärter auf der Strecke geblieben«, zitierte ich. »Und dich streiche ich aus der Liste meiner Freundinnen.«
Nina tat, als habe sie nichts gehört. Sie setzte ein mildes Lächeln auf. »Und - versteht ihr beiden euch gut?«
»Ja, sehr«, antwortete Ralf und verzog die wulstigen Posaunenengellippen ebenfalls zu einem Lächeln. »Wir beschnuppern uns aber noch.«
»Dann will ich nicht länger stören«, sagte Nina und ging wieder davon.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, wollte Ralf wissen.
»Vor dem Büfett«, seufzte ich.
»Ach ja, bei Demi Moore. Meine Traumfrau sollte natürlich jung sein, weil man ja noch länger was von ihr haben will. Und gesunde Kinder möchte man schließlich auch bekommen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Vielleicht versuchst du es mal über eine dieser Agenturen, die Frauen aus Fernost verkaufen«, sagte ich und gähnte herzhaft. »Ich muss jetzt nach Hause. War nett, dich kennen gelernt zu haben.«
Ralf folgte mir in den Flur. »Es ist gerade mal neun Uhr«, erklärte er. »Da kannst du doch noch nicht gehen.«
Ich zog meinen Mantel an. »Ich bin mit der Bahn hier. Und da ist es nach neun immer gefährlich, als Frau so ganz allein. Außerdem sind hier lauter Langweiler.«
Ralf sagte, er fände die Party auch ziemlich langweilig
»Ich hätte nichts dagegen, mich woanders zu amüsieren, du«, sagte er. »Wenn du möchtest, fahre ich dich mit dem Auto nach Hause.«
»Nein, bloß keine Umstände meinetwegen«, sagte ich und klopfte Nina, die mit Eva Märker und einer anderen Frau zusammenstand, von hinten auf die Schulter.
»Warum hast du deinen Mantel an?«, fragte sie.
»Weil ich jetzt nach Hause fahre.«
»Allein?«, erkundigte sich Eva.
»Ich bringe die Felicitas«, tönte Ralfs Stimme hinter mir. »So als Frau ganz alleine ist das doch zu gefährlich mit der Bahn.«
Eva sah mich mitleidig an, aber Nina lächelte viel sagend.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Viel Vergnügen.«
Draußen stieg ich widerspruchslos in Ralfs schickes Auto ein. So würde ich auf jeden Fall schneller zu Hause sein, bei meinen fettreduzierten Chips und dem brummenden Kater.
Man brauchte um diese Uhrzeit - wenn man die grüne Ampelphase erwischte - knapp zwanzig Minuten bis zu mir. Das waren knapp zwanzig Minuten zu viel.
Obwohl Ralf doch offensichtlich längst beschlossen hatte, dass ich nicht die Richtige war, um seine Kinder zu gebären und die Designer-CD-Ständer im rundum verglasten Haus in
Hückeswagen-Bickenbach abzustauben, fuhr er mit seinem Check-up fort, als wären wir nie unterbrochen worden.
»Und was für Bücher stehen so in deinem Bücherregal?«
Ich gähnte. Im Augenblick gar keine. Sie lagen immer noch auf dem Boden, zusammen mit dem Fernseher und dem Gipsengelstaub. Daran würde sich auch bis zum Umzug nichts ändern. Aber das brauchte Ralf nicht zu wissen.
»Hauptsächlich Märchenbücher«, erzählte ich ihm.
»Ich sammle Märchenbücher.«
Ralf sagte, dass er Märchen auch sehr möge. Ja, er sei geradezu ein Märchenfachmann, wenn man das so sagen dürfe.
»Die transportieren alle eine pädagogische Botschaft. Und Märchen sind immer gerecht.«
»Und welche pädagogische Botschaft
transportiert deiner Meinung nach Andersens kleines Mädchen mit den Schwefelhölzern?«, fragte ich. Über irgendetwas mussten wir ja schließlich reden. Das ist das traurige, traurige Märchen, in dem ein armes Waisenkind den Heili
gen Abend auf der Straße verbringen muss mit nichts als einer Packung Streichhölzern bekleidet, an denen es seine kleinen kalten Händchen wärmt.
Und am ersten Weihnachtstag liegt es erfroren neben der Kirche. »Na?«
»Du sollst nicht mit Feuer spielen«, sagte Ralf.
Ich brach
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