Die Launen des Teufels
Nachdem der Junge ihm Armbrust und Köcher gereicht hatte, gab er dem Tier die Sporen und trabte gemächlich auf den Ausgang zu. Den flehenden Blick des Knappen ignorierend, gab er den Befehl, die Zugbrücke zu bedienen, und preschte den steilen Anstieg des Burggrabens hinauf. Er konnte sich vorstellen, wie langweilig es dem Jungen sein musste, doch konnte Wulf ihn heute nicht an seiner Seite gebrauchen. Auch wenn es leichtsinnig war, sich in diesen unsicheren Zeiten alleine auf den Weg zu machen. Mit einem Achselzucken schloss er das Visier und trieb den Rappen an.
Die Landschaft um ihn herum schien zu verwischen, als er in gestrecktem Galopp über Felder, Wiesen und schlechte Straßen flog, und als endlich die südlich gelegenen Wälder vor ihm auftauchten, fühlte er sich um einiges besser. Irgendwie würde es ihm gelingen, das Kind in seine Obhut zu holen, ohne dass Ulrich von Württemberg Verdacht schöpfte. Wenn Katharinas Plan Früchte trug, würde er bereits im kommenden Jahr den kleinen Wulf in Katzenstein willkommen heißen, wo er ihn zu einem ehrbaren und tapferen Ritter erziehen würde!
Dieser Entschluss verlieh ihm neuen Mut. Mit hoch erhobenem Haupt trabte er auf die am Waldrand wartende Gruppe zu, aus deren Mitte das Banner des Grafen von Dillingen aufragte, und zügelte sein Pferd.
»Wulf!«, trompetete der beleibte Graf, dessen jagdliches Geschick seinem politischen in erheblichem Maße nachstand. »Wie schön. Damit ist der Braten gesichert.« Er kicherte aufgekratzt, als Wulf sich im Sattel verneigte und die Begrüßung respektvoll erwiderte. »Ich danke Euch für Euer Vertrauen«, versetzte er mit gespieltem Ernst. »Aber Ihr wäret gewiss auch ohne mich erfolgreich.«
Der Graf winkte ab und ruderte mit der Hand in der Luft. »Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel! Ihr wisst selbst, dass Ihr der zielsicherste Armbrustschütze weit und breit seid.« Damit stieß er einen gellenden Pfiff aus, grub seinem lammfrommen Wallach die Fersen in die Flanken und stob ins Unterholz davon.
Entgegen aller Sorgen wurde auch Wulf vom Jagdfieber ergriffen, sobald sein Tier durch die kahlen Äste brach, und da er die Wälder des Grafen gut genug kannte, wusste er, was Hartmann vorhatte. Dieser stampfte soeben etwa zehn Pferdelängen vor Wulf durch ein Dickicht aus Schlehen-, Wacholder- und Haselnusssträuchern, die den Übergang zu einem dichten Tannenhain markierten. Kaum hatten die undurchdringlichen Schatten ihn verschluckt, tat Wulf es ihm gleich.
Der mit toten Nadeln bedeckte Boden dämpfte den Hufschlag, und wäre nicht ab und zu eine von den Ästen brechende, weiße Wolke vor ihnen zerstäubt, hätte man den dichten Schneefall vergessen können. Die in den Lungen stechende Luft roch nach Winter, Fäulnis und der beißenden Spur eines Ebers, der grunzend vor ihnen floh. Das helle Gebell der Hunde erzeugte ein unheimliches Echo, das kurze Zeit später zu einem infernalischen Lärm anschwoll. An der jähen Abbruchkante einer trichterförmigen Doline warf der in die Enge getriebene Schwarzkittel drohend den mit mächtigen Hauern bestückten Schädel, während die Meute ihn wild umtanzte.
Wenngleich Wulf in der Vergangenheit zahllose Wildsauen erlegt hatte, erregte etwas an der Haltung des Tieres sein Mitleid, und er zögerte kaum merklich. In den winzigen Augen war deutlich die Todesangst zu lesen, die der Eber mit aggressivem Grunzen und dem Scharren der Vorderläufe zu überspielen versuchte. Bevor der Katzensteiner Ritter nach der Armbrust auf seinem Rücken greifen konnte, bohrten sich die ersten Bolzen in die Seite des Jagdwildes, und es dauerte nicht lange, bis das Tier sich in seinem eigenen Blut wälzte. Erstaunlich leichtfüßig sprang der Graf von Dillingen aus dem Sattel, kniete sich trotz der Warnungen seiner Männer neben den nur noch unregelmäßig atmenden Eber und durchschnitt diesem die Kehle. Nachdem zwei der Jäger den Kadaver an Ort und Stelle aufgebrochen und ausgeweidet hatten, machte sich die Gesellschaft auf den Weg nach Dillingen, wo in der Burg des Grafen ein Festmahl stattfinden würde.
»Kommt schon«, drängte der Graf, als Wulf sich mit einer fadenscheinigen Ausrede verabschieden wollte. »Ihr habt nicht einen einzigen Pfeil abgeschossen. Etwas bedrückt Euch. Da kann ein wenig Abwechslung sicher nicht schaden!« Er kniff verschwörerisch ein Auge zu und machte eine nicht zu deutende Handbewegung. »Ihr würdet mich beleidigen!«
Ein Seufzen unterdrückend, nahm Wulf
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