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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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meines Vaters zu wissen.«
    Eine Zeit lang standen sie einfach nur da, schmiegten sich aneinander und ließen die überwältigende Strömung der Mutlosigkeit und des Selbstmitleides über sich hinwegspülen, bis Bertram sich schließlich die Nase am Ärmel wischte, die Schultern straffte und Anabel mit sanfter Gewalt zwang, ihm in die geröteten Augen zu blicken. »Wenn Gott die Unschuldigen beschützt«, wiederholte er die Worte des Predigers, »dann kann uns nichts geschehen.« Eine verunsicherte Falte grub sich zwischen seine Brauen, die von den Misshandlungen des Gießers geschwollen und schorfverkrustet waren. »Er wird seine Hand über uns halten«, fuhr er energischer fort, wie um sich selbst vom Wahrheitsgehalt dieser Worte zu überzeugen. »So wie er alle bewahrt, die reinen Herzens sind.« Mit diesen Worten presste er Anabel ein letztes Mal mit solch verzweifelter Kraft an sich, dass diese zusammenschreckte, bevor er sie auf Armeslänge von sich hielt und mit dem Blick ihr Gesicht abtastete. »Lass uns wenigstens diesen Tag genießen«, schlug er mit einem schiefen Lächeln vor, und wenngleich sie sich am liebsten erneut an seiner Brust versteckt hätte, um der Realität einige weitere Momente lang zu entfliehen, nickte sie tapfer, schluckte mühsam und schlang krampfhaft die Finger in die seinen.
    Wie im Traum folgte sie ihm über die vom Regen aufgeweichten Felder zu der mit buntbewimpelten Zelten übersäten Bürgerwiese, wo fahrende Händler allerlei Leckerbissen und Schmuckflaschen feilboten. Während all ihre Sinne die ungewohnte Zweisamkeit verarbeiteten – das Gefühl seiner schwieligen Haut auf der ihren, der sich ohne Nachdenken einstellende Gleichschritt, die Sicherheit, einen hochgewachsenen Beschützer an ihrer Seite zu haben – wichen allmählich Unsicherheit, Furcht und Schwermut wie durch Zauberhand einer erwartungsvollen Hochstimmung, die ihre Ängste unwirklich und fern erscheinen ließ. Mitgerissen von der Freude und Heiterkeit der Besucher, die unter lautstarken Anfeuerungsrufen einem Paar Krafthelden beim Fechtkampf zusahen, ertappte sie sich dabei, wie sie mit offenem Mund einen Feuerfresser begaffte, in dessen Schlund soeben eine wild lodernde Fackel verschwand. »Sieh nur«, flüsterte sie ehrfürchtig und riss die Augen auf, als der Fackel eine weitere folgte. »Wie macht er das nur?«
    Achselzuckend beobachtete auch Bertram das Schauspiel einige Lidschläge lang, bevor er auf den abgesperrten Teil des Platzes zu drängte, wo die Zuschauer einen der Schützen mit höhnenden Versen verspotteten. Auf der Stelle hüpfend versuchte er, einen Blick auf die Männer zu erhaschen, die – dem Abstand der Zielscheibe nach zu urteilen – bereits die letzte Runde des Wettkampfes erreicht hatten.
    »Dort drüben«, wies Anabel ihn nach einigen vergeblichen Versuchen, sich durch die undurchdringliche Mauer aus Zuschauern nach vorn zu quetschen, auf eine knorrige Eiche hin, von deren unterstem Ast soeben ein von seiner Mutter gescholtener Knabe rutschte, um dieser mit vorgeschobener Unterlippe und hängendem Kopf zurück in Richtung Kirche zu folgen. »Schnell!«
    Kaum hatten sie den Baum erreicht, half Bertram ihr auf den sich unter ihrem Gewicht kaum bewegenden Ast, bevor er sich selbst hinaufzog und sich vorsichtig in eine aufrechte Stellung balancierte.
    »Oh!«, stieß er aus, kaum ragte er wankend über Anabel auf, und da sich zeitgleich gewaltiger Applaus von der Schützenwiese erhob, vermutete diese, dass soeben der Meisterschuss gefallen war. »Das war Glück«, feixte Bertram, dem ebenfalls anzusehen war, dass die düsteren Gedanken dem Hochgefühl des Festtages gewichen waren, als er sich mit baumelnden Beinen neben Anabel fallen ließ.
    Bevor sie etwas erwidern konnte, fiel ihr Blick auf eine nur zu wohlbekannte Gestalt, die in etwa einhundert Fuß Entfernung – weit ab vom Getümmel der Schaulustigen – an einem Karren haltgemacht hatte, vor dessen abgetrenntem Inneren sich eine nicht unbeträchtliche Anzahl Frauen drängte. »Dort ist Vren!«, rief sie erstaunt aus und deutete auf die Freundin, deren Gesicht selbst aus der Entfernung vor Aufregung zu glühen schien. »Lass uns zu ihr gehen.«
    Anmutig glitt sie von ihrem luftigen Sitz in Bertrams Arme, der sie geschickt auffing und auf die Beine stellte, nachdem er selbst federnd zu Boden gesprungen war. Beinahe übermütig zog sie ihn auf den Quacksalber zu, dessen Schilder schon von Weitem verkündeten, dass er ein Meister

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