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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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war. Hatte sie doch selbst mit angesehen, wie viele Krüge Wein und Bier die Versammelten ihre Kehlen hinuntergeschüttet hatten, bevor sie sich auf Befehl des Abtes zurückgezogen hatte.
    Hätte sich nicht eine kleine Hand auf ihre Schulter gelegt, hätte sie vermutlich dem Schwächegefühl nachgegeben und wäre zusammengesackt. Stattdessen packte sie die kalten Finger und umklammerte sie mit solcher Gewalt, dass ihr Gegenüber empört protestierte: »Anabel! Du tust mir weh!«
    Heftig blinzelnd vertrieb das Mädchen den Schwindel, lockerte den Griff und stammelte einige unverständliche Worte.
    »Anabel«, drängte die Begine, deren Korkenzieherlocken sich pechschwarz unter dem strengen Gebende hervor um ihr fein geschnittenes Gesicht kräuselten. »Wir warten auf dich.«
    Wie in Trance folgte Anabel der Schwester über den von Abfällen übersäten Platz, reichte den Brotkorb über das Brett, welches zur Ausgabe der Suppe diente, und schlüpfte unter die Leinwand, um eine weitere bürgerliche Hilfskraft abzulösen. Immer noch halb gelähmt vor Entsetzen über die ungeschminkte Brutalität und Lust des Ordensvorstehers, übernahm sie verzagt die Aufgabe, die Holzschalen der Bettelnden mit dem wohlriechenden Eintopf zu füllen, der über einer kleinen tragbaren Feuerstelle vor sich hin brodelte. Mechanisch erwiderte sie den Dank der zerlumpten Gestalten, und erst allmählich klärte sich ihr Kopf und sie begann, ihre Umgebung wahrzunehmen. Trotz der Tatsache, dass die Suppenküche bereits seit dem frühen Morgen in Betrieb war, schlängelte sich die Reihe der Hungernden bis beinahe an den Abgrund der Münsterbaugrube, die seit einigen Tagen verwaist und verlassen dalag. Alte, Junge, Kranke und Gesunde bekreuzigten sich gleichermaßen und dankten dem Herrn und den Heiligen Brüdern und Schwestern für ihre Barmherzigkeit. Während einige der Armen sich halb verhungerten Tieren gleich an Ort und Stelle über die Speise hermachten, zogen sich andere in die Schatten der Häuser und des Löwentores zurück, um ihr Mahl in Ruhe zu genießen.
    Kelle um Kelle verschaffte den Notleidenden Linderung, und doch schien der riesige Kessel sich nicht zu leeren. Ihre anfängliche Scheu überwindend, ging Anabel schon bald dazu über, die vom Schicksal gezeichneten Gesichter der Menschen zu betrachten und sich zu fragen, welchem furchtbaren Umstand sie es zu verdanken hatten, dass das Glück sie verlassen hatte. Nicht nur lenkte diese Frage sie von ihren eigenen Sorgen ab, sie half ihr auch dabei, den Ekel vor den zum Teil mehr als übel riechenden Gestalten im Zaum zu halten. Zwar herrschte allgemein die Ansicht vor, dass Armut ein von Gott gewollter Zustand sei, doch diese Erklärung hatte Anabel schon als Kind nicht sonderlich befriedigt. Wenn Armut und Not eine Gottesstrafe darstellten, wie konnte es dann möglich sein, dass Menschen wie Conrad und Franciscus lebten wie die Maden im Speck, während Gertrud, Bertram und viele andere ein trostloses Dasein fristeten? Und wie war es möglich, dass Gott Menschen wie den Infirmarius Paulus nicht für ihre Taten bestrafte?
    Die Bitterkeit, die ihr bei diesen Überlegungen in der Kehle aufstieg, ließ sie würgen, und als die Bilder der toten Wöchnerin und des qualvoll verendeten Zimmermanns sich in ihr Bewusstsein drängten, hätte sie sich um ein Haar übergeben. Wie von der Meisterin Guta Staiger vorhergesagt, war der Mann, dessen Verletzung Paulus mit Gänsekot hatte heilen wollen, an einer Vergiftung des Blutes gestorben, und auch viele der von ihm behandelten Frauen hatten das Kindbettfieber nicht überlebt. An die Unglücklichen, deren entzündete Schwellungen Paulus mit seiner Fliete geöffnet hatte, und von denen ein Großteil wenig später qualvoll zugrunde gegangen war, wollte sie gar nicht denken.
    Die Wut schluckend, die allmählich das Gefühl der Hilflosigkeit verdrängte, erwiderte sie den Dank eines gebückt gehenden Mannes, dessen beinahe schwarze Augen sich für den Bruchteil eines Momentes in die ihren bohrten. Nur mit Mühe verkniff sie sich den Ruf des Erstaunens, als die schweren Lider sich wieder senkten und die Zunge über die trockenen Lippen des ehemals entschlossenen Mundes glitt. Bevor sie begriffen hatte, wo sie das schwarze Haar und die energischen Züge schon einmal gesehen hatte, war der mit einer zerschlissenen Steinmetztracht bekleidete Mann jedoch in der Menge verschwunden und ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit einer Hasenscharte bat mit

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