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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ihnen eine meist nachlässige Beerdigung durch den übermüdeten Priester zuteil wurde. Da im Rat die Forderung laut geworden war, die Gesunden vor einer Ansteckung zu schützen, war man in den besonders betroffenen Vierteln der Stadt dazu übergegangen, die Türen und Fenster der Häuser zu vernageln, in denen entweder ein Teil oder alle Mitglieder einer Familie erkrankt waren. Was dazu führte, dass viele der so Eingeschlossenen den Tod fanden, obschon sie nicht von der Seuche befallen waren. Da sich diese drastischen Maßnahmen bisher jedoch auf das Gerber- und Färberviertel beschränkten, versuchten die übrigen Bewohner der Stadt, sich so gut als möglich von den mit einem roten Tuch gekennzeichneten Häusern fernzuhalten, wodurch in manchen Gassen kein Durchkommen mehr war.
    Mit trübem Blick ließ sich Anabel von dem durch die Rabengasse zum Münsterplatz drängenden Strom mitreißen, wo sich die Menge in alle vier Himmelsrichtungen zerstreute, um mehr oder minder begeistert ihrem Tagwerk nachzugehen. Vor dem westlich der Abtei gelegenen Löwentor drängte sich eine Schlange luxuriöser Pferdefuhrwerke, mit denen sich viele der reichen Patrizier aufs Land flüchteten, wo sie hofften, durch Einsamkeit und Isolation der Pest zu entkommen.
    Auf unsicheren Beinen erreichte Anabel schließlich das Hospital, aus dem ihr der allem Räucherwerk zum Trotz durchdringende Gestank faulenden Fleisches und versagender Eingeweide entgegenschlug. Immer noch schwebte das zerschundene Gesicht Bertrams, den sie nur mit schwerem Herzen in dem kalten Schuppen zurückgelassen hatte, vor ihrem inneren Auge. Doch als sie das Infirmarium betrat, in dem trotz der frühen Stunde bereits ein hektisches Treiben herrschte, schalt sie sich eine undankbare Närrin. Immerhin war Bertram bis auf einige Platzwunden und stechende Rippen wohlauf, was man von dem Großteil der vor Schmerzen brüllenden Kranken nicht behaupten konnte!
    Ohne Vorwarnung schossen ihr beim Anblick der unter Höllenqualen dahinsiechenden Pestopfer die Tränen in die Augen. Als drei Beginen an ihr vorbeistürmten, wandte sie sich hastig ab, um sich eines der essiggetränkten Tücher vor Nase und Mund zu binden. Das sich mit einem Zusammenziehen ihres Zwerchfells ankündigende Schluchzen unterdrückend, versuchte sie tapfer, die Erinnerung an die gezeichneten Gesichter ihrer Geschwister zu verdrängen, von denen sie sich heute Morgen in dem Wissen verabschiedet hatte, dass sie ohne Rettung dem Tode geweiht waren. Während Ida und Johann bereits in die lähmungsartige Ohnmacht gefallen waren, der stets das Ende ankündigte, war Uli noch bei Bewusstsein gewesen und hatte schwach nach ihrer Hand gegriffen. Wie bei allen anderen von dieser Spielart der Pest Befallenen, erlosch auch bei Anabels Geschwistern das schwache Lebenslicht nach weniger als drei Tagen.
    Mit zitternden Händen verknotete sie das Tuch an ihrem Hinterkopf und trat an die Reihe Heiligenlämpchen, die im Eingangsbereich entzündet worden waren. Nachdem sie sich vor den Bildern des Heiligen Rochus, des Heiligen Quirin und des Heiligen Beatus bekreuzigt hatte, schickte sie ein Bittgebet hinterher, in dem sie für Gertrud, Bertram und all die anderen Unschuldigen um Schutz vor der Seuche flehte. Als sie erneut das Zeichen des Kreuzes geschlagen hatte, holte sie tief Atem, wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel und straffte die Schultern, bevor sie sich in das Chaos im Inneren des Hospitals stürzte.
    »Anabel«, empfing sie Guta Staiger, deren Unerschütterlichkeit im Angesicht der überwältigenden Flut Kranker ins Wanken zu geraten schien. »Ich habe eine besondere Aufgabe für dich.« Sie senkte die Stimme. Auf ihrem unscheinbaren Gesicht lag ein Ausdruck tiefer Sorge, als sie sich unbewusst zu der adeligen Dame umwandte, die sich in einem seitlich mit Vorhängen abgetrennten Teil des vordersten Raumes unruhig in den Kissen hin und her warf. Aus einer winzigen Krippe an ihrem Kopfende drang das schwache Weinen eines Säuglings, das seine erschöpfte Mutter jedoch nicht zu wecken vermochte. »Ich habe keine Zeit, mich weiter um sie zu kümmern«, stellte Guta sachlich fest und wischte sich mit der Hand über die schweißbedeckte Stirn. »Und ich benötige die anderen Schwestern bei den Kranken.«
    Anabel nickte stumm.
    »Sieh zu, dass du eine Amme für das Kind findest. Und sorge dafür, dass es der Gräfin an nichts mangelt.« Als Anabel erstaunt die Augen aufriss, lächelte Guta schief. »Sie ist

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