Die Launen des Todes
wollen; meines hatte ich bereits aufgebraucht durch die glückliche Eingebung, dass zwischen Beddoes und Fichtenburg möglicherweise eine Verbindung bestanden hatte. Aber will man eine gute Biographie verfassen, muss man sich nicht nur in die Person versetzen, über die man schreibt, sondern auch die äußeren Gegebenheiten eruieren, und ich glaube, vieles habe ich bereits mitbekommen, indem ich einfach durch die Stadt schlenderte und mir vorstellte, ich sei ein einsamer, unzufriedener, ungebundener Exilant wie Thomas Lovell Beddoes.
Sie natürlich sind Ihrer Ausbildung und Ihrem Instinkt nach ein Experte beim Aufspüren von Motiven. Hätte ich Sie an meiner Seite, um wie vieles leichter würde es mir fallen zu verstehen, warum Beddoes kurz vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag und kurz nach seinem Abschluss in Oxford, wo er im Begriff stand, sich einen Ruf als Dichter zu erwerben, beschloss, England zu verlassen und den Rest seines Lebens in Deutschland und der Schweiz zu verbringen. Vor allem aber, was jemanden, der das englische Idiom so sehr liebte wie er, dazu trieb, es zum Zeitpunkt seines Todes zu seiner zweiten Sprache zu degradieren.
Sams Theorie besagt, das alles lasse sich auf die brutale Realität des Todes zurückführen, der er schon als Junge ausgesetzt worden war, sowie auf den erschütternd frühen Verlust des mächtigen Vaters. Wenn wir die drei wichtigsten Antriebsquellen in Beddoes’ Leben betrachten, sehen wir, wie sie alle mit seinem Vater in Beziehung stehen und alle mit dem Kampf des Menschen gegen seinen ultimativen Widersacher zu tun haben.
Über die Medizin versucht er diesen Gegner zu verstehen und zu überwinden, während er gleichzeitig im Fleisch, im Blut und in den Knochen nach Hinweisen auf die Existenz einer Seele suchte. Thomas Lovell schien dabei nicht geneigt gewesen zu sein, seinem Vater zu folgen und seine medizinischen Fertigkeiten in den Dienst der Unterprivilegierten und der Verbesserung ihrer Gesundheit zu stellen (Beddoes senior gründete zu diesem Zweck das sehr malerisch betitelte Institut für sieche und ermattete Arme!), sondern unterstützte in Deutschland – oft unter Gefahr für Leib und Leben – aktiv das, was wir heute als Menschenrechtsbewegung bezeichnen würden. Und natürlich versuchte er sich mittels seiner Kreativität und seiner Vorstellungskraft auf eine Machtprobe mit dieser Urangst einzulassen.
Warum also kam er nach Deutschland? Die Antwort liegt in dem, was ich soeben geschrieben habe. Deutschland bildete damals die Skalpellspitze (ha ha!) der medizinischen Forschung; hier gab es im Verborgenen sozialrevolutionäre Strömungen, wie sie im langweiligen, selbstgefälligen kleinen England kaum zu spüren waren; und hier, in den dunklen Wäldern, den theatralischen Burgen, gewundenen Flüssen und der turbulenten Mythologie, lag das wahre romantische Herz Europas, in das die Briten seit den Jakobäern kaum ihren Fuß gesetzt hatten.
Letztendlich aber musste er erkennen, dass sein Angriff an allen drei Fronten scheiterte.
Ich besuchte den Schauplatz des alten Stadttheaters, das Beddoes einen Abend lang gemietet hatte für seinen letzten traurigen Versuch, aus seinem zunehmend in Stücke brechenden Leben noch ein wenig Trost zu schöpfen, indem er den jungen Konrad Degen in Wams und Kniehose steckte und den armen Kerl als Hotspur auf die Bühne stellte.
Sam grübelt, dass Beddoes in Hotspur, diesem unkomplizierten, impulsiven, tapferen, ehrenwerten, über die Dichtung spottenden, das Leben liebenden Mann der Tat, vielleicht jenen Sohn sah, der seinen Vater nicht hätte sterben lassen. Oder dass die einzige Möglichkeit, seinen Vater wieder ins Leben zurückzubringen, darin besteht, dass man selbst einen Sohn hat.
Der arme Beddoes. Für eine kurze Weile schlüpfte ich aus meiner Haut und Zeit in die seine und vergegenwärtigte mir seinen Schmerz und, noch schlimmer, seinen Glauben, dass die Zukunft besser sein müsse als die Vergangenheit und die Welt große Schritte in Richtung Utopia gemacht habe, wenn wir, sagen wir, das einundzwanzigste Jahrhundert erreicht haben.
Genug von diesen schmerzlichen Fantasiegebilden! Die Weihnachtsfeiertage warteten auf mich in Fichtenburg. Lassen Sie mich Ihnen schildern, wie ich die Festtage verbracht habe.
Als ich am 23. Dezember frühabends zur Burg zurückkehrte, musste ich feststellen, dass Linda und ihre Gesellschaft bereits am Morgen dieses Tages angekommen waren. Sie empfing mich sehr herzlich mit
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