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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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begann sich der Verkehr zu verdichten.
    »Mein Gott«, sagte Pascoe. »Es findet doch kein Fußballspiel oder so was statt, oder?«
    »Das sind die Weihnachtseinkäufer«, sagte Rosie. »Mum sagt, wir hätten viel früher losfahren sollen.«
    »Viel früher warst du nicht fertig«, erwiderte Pascoe. Damit hätte er punkten können, wenn er mit laufendem Motor in der Einfahrt auf Rosie hätte warten müssen.
    Allmählich wurde der Verkehr zähflüssig, geriet schließlich ins Stocken, dann kam er ganz zum Erliegen.
    Rosie sagte nichts. Von ihrer Mutter hatte sie jedoch die Fähigkeit geerbt, durch ein kaum wahrnehmbares Anspannen der Nasenmuskulatur ein unüberhörbares »Ich hab’s dir doch gesagt« zu vermitteln.
    »Okay«, sagte Pascoe. »Dann machen wir was, was deine Mutter nicht kann.«
    Er fasste nach hinten auf den Rücksitz, ergriff das magnetische Blaulicht, kurbelte die Scheibe nach unten, knallte es aufs Dach und bog in die leere Busspur zu seiner Linken ein.
    Mit heulender Sirene, blitzendem Warnlicht raste er am stehenden Verkehr vorbei.
    Ihre Freude über diese Wendung der Ereignisse brachte Rosie dadurch zum Ausdruck, dass sie bis über beide Ohren strahlte und wie verrückt den Leuten in den feststeckenden Autos zuwinkte.
    »Tu mir einen Gefallen, Liebes«, sagte Pascoe. »Hör auf, dich wie die Königinmutter zu benehmen. Setz entweder ein Gesicht auf wie ein Kind, das im Sterben liegt und schleunigst ins Krankenhaus gebracht werden muss, oder wie eine gefährliche Schwerverbrecherin auf dem Weg ins Gefängnis.«
    Als sie in die St. Margaret Street einbogen, sah er mit einiger Genugtuung an der Uhr der St. Margaret’s Church, dass sie fast noch fünf Minuten hatten. Da alle Parkplätze vor dem Haus besetzt waren, bog er in den für die Leichenwagen reservierten Platz vor der Kirche ein, schaltete die Sirene aus und sagte zu Rosie: »Hier sind wir. Zu früh.«
    Sie drückte ihm einen hastigen Kuss auf die Wange. »Danke, Dad. Das war toll.«
    »Ja, und tu mir noch einen Gefallen. Sag deiner Mum nichts davon. Wir sehen uns in einer Stunde.«
    Er sah ihr nach, wie sie über den Bürgersteig lief, auf der obersten Stufe, die zum Haus führte, stehen blieb, ihm zuwinkte und im Eingang verschwand.
    Er entspannte sich in seinem Sitz. Was jetzt? Bei dem Verkehr hatte es keinen Sinn, nach Hause zu fahren. Er hätte sich, kaum dort angekommen, sofort wieder in den Wagen setzen und zurückkehren müssen. Für Hochzeiten und Beerdigungen war es noch zu früh, er konnte also genauso gut hier warten. Etwas zu lesen wäre nett gewesen. Er hätte sich die Zeitung mitnehmen sollen. Oder ein Buch.
    Alles, was er hatte, war Franny Rootes Brief.
    Er zog ihn aus der Tasche und begann ihn von neuem zu lesen.
    Vor seinem geistigen Auge sah er das blasse ovale Gesicht mit den dunklen, starren Augen, denen es gelang, mitfühlend und spöttisch zugleich zu wirken, gleichgültig, ob er dabei ihm, Pascoe, gerade eins über den Schädel zog, mit aufgeschlitzten Handgelenken in der Badewanne lag oder lediglich bemerkte, welch schöner Tag doch sei.
    Musste er sich in seiner Beziehung zu Roote irgendetwas vorwerfen? Hatte das legitime Verhör des Mannes bei der Ausübung seiner ermittlerischen Pflichten den Beigeschmack des Schikanösen an sich gehabt?
    Nein!, sagte er sich wütend. Wenn hier jemand schikaniert wurde, dann doch eher er, Pascoe. Die Besessenheit lag einzig und allein auf Seiten Rootes. Und warum zum Teufel machte er sich überhaupt Gedanken um ihn? In diesem Moment würde der Dreckskerl den Aufsatz des verstorbenen Sam Johnson über
Death’s Jest-Book
vortragen.
    »Hoffentlich bekommt er dabei Schluckauf!«, murmelte Pascoe und starrte auf die Kirche, als wollte er sie dazu herausfordern, seine fehlende Nächstenliebe zu verdammen.
    Und musste feststellen, dass er dabei geradewegs in jene dunklen, starren Augen blickte.
    Roote stand auf dem Weg, der an der Kirche entlangführte und von einem großen Gedenkkreuz aus verwittertem weißen Marmor teilweise verdeckt wurde. Die Entfernung betrug etwa zehn bis zwölf Meter, der mitfühlend-spöttische Gesichtsausdruck allerdings war so klar zu erkennen wie auf einer Nahaufnahme.
    Die Kirchturmuhr begann die Stunde zu schlagen.
    Zwei Glockenschläge lang sahen sie sich an.
    Dann wollte Pascoe die Wagentür aufreißen, musste feststellen, dass er zu nah an einer verschrumpelten Eibe geparkt hatte, weshalb er zum Beifahrersitz hinüberhechtete und sich zur Tür

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