Die Launen des Todes
hinausdrängte.
Als er sich aufrichtete und zur Kirche blickte, ertönte der neunte Schlag der Glocke.
Der Kirchhof war leer.
Er ging durch das Tor und eilte den Weg entlang, am weißen Kreuz vorbei zur Rückseite des Kirchengebäudes.
Nichts. Niemand.
Er kehrte zum Kreuz zurück und betrachtete den Boden. Das Gras war noch vom morgendlichen Reif überzogen, Fußspuren waren keine zu erkennen.
Dann sah er nach oben und betrachtete die Kreuzinschrift.
Es war dem Andenken eines gewissen Arthur Treebie gewidmet, der im Alter von zweiundneunzig Jahren das irdische Tränental verlassen hatte, sehr betrauert von seiner gewaltigen Familie und der Armee von Freunden. Treebie, der möglicherweise um die Lücke wusste, die er hinterlassen würde, hatte sich den trostreichen Text vielleicht selbst ausgesucht:
»Sehet, ich bin überall bei euch, bis ans Ende der Welt.«
Pascoe las es, fröstelte, sah sich erneut auf dem leeren Friedhof um und eilte zurück in die tröstliche Wärme des Wagens.
n den frühen Stunden an diesem Samstagmorgen war Detective Constable Hat Bowler aus einem Traum erwacht.
Seit dem Vorfall, bei dem er sich seine schweren Kopfverletzungen zugezogen hatte, von denen er sich offiziell noch erholte, wurde er immer wieder von düsteren Albträumen heimgesucht, in denen er erneut mit der nackten, blutig-glitschigen Gestalt des Wordman kämpfte. Im Unterschied zur Wirklichkeit wurde er in diesen Träumen stets bezwungen, lag nur hilflos da, während über ihm sein Gegner unaufhörlich mit einer schweren Kristallschale auf ihn einschlug, bis er das Bewusstsein verlor und die verzweifelten Schreie Rye Pomonas durch seinen geborstenen Schädel hallten. Und wenn er aufwachte, in ein Knäuel schweißgetränkter Laken gewickelt, waren es die Erinnerung an diese Schreie sowie seine Schmerzen und die Angst, die er aus der Finsternis mit sich brachte.
Auch diesen Morgen erwachte er in einem Knäuel schweißgetränkter Laken und der Erinnerung an Ryes Schreie, aber diesmal spürte er nicht Angst und Schmerzen, sondern Liebe und Freude.
Er hatte geträumt, in einem Hotelbett zu liegen, sein Körper eine brennende Fackel in der kalten, kalten Ödnis umsichtiger Behutsamkeit, in der er sich gefragt hatte, ob es klug oder idiotisch gewesen war, die Sache mit Rye nicht zu einer definitiven Entscheidung, Zustimmung oder Ablehnung, vorangetrieben zu haben, als er die Tür aufgehen hörte und im nächsten Moment die Wärme eines weichen nackten Körpers mit der seinen verschmolz und eine Stimme ihm ins Ohr murmelte: »Gott sei Dank herrscht hier Gleichberechtigung.« Und dann sagte sie nichts mehr bis zu den finalen wortlosen, aber ach so ausdrucksstarken Schreien, die den Höhepunkt ihrer leidenschaftlichen Vereinigung anzeigten.
Er stöhnte leise bei der süßen Erinnerung an diesen Traum, versuchte sich zu entspannen und wieder in den glücklichen Schlummer zu fallen, drehte sich im breiten Bett um und schreckte, hellwach, hoch.
Sie war da. Entweder träumte er noch immer, oder …
Sie legte die Arme um ihn und zog ihn nach unten.
»Wie geht’s deinem Kopf?«, flüsterte sie.
»Weiß nicht. Ich glaub, ich hab Wahnvorstellungen.«
»Dann sollten wir uns doch gleich noch mal dem Wahnsinn hingeben!«
Wenn das ein Traum war, würde er liebend gern für immer schlafen.
Danach lagen sie eng ineinander verschlungen, lauschten, wie das Hotel zum Leben erwachte und daraufhin die Vögel, die an einem Morgen, der so dunkel war wie dieser, später munter wurden als die Menschen.
»Was war das?«, fragte sie.
»Ein Goldfink.«
»Und das?«
»Eine Misteldrossel.«
»Ich mag Männer, die mehr wissen als ich«, sagte sie. »Hungrig?«
»Was schwebt dir vor?«
»Würstchen, Speck und Eier, zum Anfang.«
Sie rollte sich von ihm weg, hob den Telefonhörer ab und wählte.
Er hörte zu, wie sie das komplette englische Frühstück für zwei Personen auf sein Zimmer bestellte.
»Ist dir das denn überhaupt nicht peinlich?«, fragte er.
»Glücklicherweise nicht«, sagte sie. »Oder hast du etwa letzte Nacht geplant, mich zu überraschen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir Leid. Ich wollte es, mein Gott, und wie ich es wollte! Aber irgendwie hab ich Muffensausen bekommen …«
»Wie?«, sagte sie neugierig. »Du bist mir nie als der Typ vorgekommen, der noch als Jungfrau in Rente geht.«
»Nein? Na ja, gewöhnlich … nicht dass es da sonderlich viele gegeben hätte … aber in den meisten
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