Die Launen des Todes
schwante Böses, wir wurden Zeugen einer wahrhaft schrecklichen Tragödie. Dann kam knisternd über Funk die gute Neuigkeit, dass Amaryllis sicher und wohlauf sei. Meine Freude darüber verlor sich jedoch augenblicklich, als von Justin jede Spur zu fehlen schien.
Zu diesem Zeitpunkt begann es heftig zu regnen, was für die Feuerwehrleute eine gute Nachricht war. Da ich keinerlei Sinn darin sah, mir beim Betrachten des Feuers eine Erkältung einzufangen und mir den Tod zu holen, kehrte ich in mein Zimmer und zu meinem Brief zurück. Ich bezweifelte, dass ich wieder einschlafen konnte, weshalb ich ebenso gut weiterschreiben könnte.
Wieder falsch!
Ich wurde auf meinem Stuhl von Dwight geweckt, der mich an der Schulter rüttelte.
Und während ich noch mit dem Schlaf kämpfte, war seinem Gesicht abzulesen, dass es nichts Gutes zu vermelden gab.
Sondern Schlimmstes.
Im Erdgeschoss, wo das Feuer am heftigsten gewütet hatte, war Justinian Albacores Leiche gefunden worden.
Ich war am Boden zerstört. Es gab für mich kaum einen Grund, den Mann zu lieben, doch etwas in seiner spöttischen, subtilen Art hatte mich zu ihm hingezogen, sodass ich vergangene Nacht kein Problem mit der Aussicht hatte, viel Zeit in seiner Gegenwart zu verbringen.
Dwight wollte mit mir reden, ich jedoch wollte für mich allein sein.
Ich zog mich an und ging hinaus. Die Grundmauern der Dekanwohnung, sanft dampfend unter dem leichten Nieselregen, waren nur noch entsetzliche Illustration der Gewalt der Flammen. Der hübsche junge Feuerwehrhauptmann gesellte sich zu mir, während ich so stand und alles betrachtete, und lieferte mir ein Bild der Ereignisse der vergangenen Nacht, wie sie es sich zusammengereimt hatten.
Es scheint, dass Amaryllis von Justin geweckt wurde, der in den frühen Morgenstunden das Bett verließ. Schlaftrunken fragte sie, was los sei, worauf er erwiderte, unten etwas gehört zu haben, wahrscheinlich aber sei nichts und warum sie nicht wieder zu schlafen versuche. Was sie auch tat. Als sie einige Zeit später erneut aufwachte, quoll dicker Rauch ins Zimmer. Auf dem Treppenabsatz vor dem Schlafzimmer, stellte sie fest, war alles noch viel schlimmer, die Flammen waren bereits am Fuß der Treppe sichtbar. Sie zog sich ins Schlafzimmer zurück und alarmierte die Feuerwehr. Dann schlüpfte sie eiligst in eine Freizeithose, zog ein T-Shirt und mehrere warme Pullover an, trug ein wenig Make-up auf und öffnete das Schlafzimmerfenster, das den Blick auf das Dach eines architektonisch widersinnigen Gewächshauses freigab, errichtet von einem orchidomanischen Dekan zu Viktorias Zeiten, als es so was wie gesetzliche Bestimmungen zum Pflanzenschutz noch nicht gab. Auf dieses Dach ließ sie sich unter Zuhilfenahme einer Regenrinne hinab und schlitterte von dort in die Arme des ersten Feuerwehrmanns am Einsatzort.
Über Justin gibt es im Moment nur Spekulationen.
Wahrscheinlich brannte sein Arbeitszimmer bereits lichterloh, als er die Treppe hinabstieg. Dass dort der größte Schatz des College, Reginald von Durhams
Vita S. Godrici
lag, das er persönlich und skrupellos aus der Universitätsbibliothek entfernt hatte, muss sein Urteilsvermögen getrübt haben. Statt Alarm zu schlagen, stürzte er wahrscheinlich hinein, um das wertvolle Manuskript zu retten, wurde von der Hitze allerdings zur Türschwelle zurückgedrängt, wo er unter dem Rauch zusammenbrach und starb.
Nach allem, was ich selbst erblickte und mir mein neuer Freund erzählte, dürfte es offensichtlich sein, dass nicht nur die
Vita
zu Asche verbrannt ist, sondern auch keine einzige Seite von Albacores Beddoes-Manuskript und nicht eine Karte seines Karteikartensystems das Inferno überstanden haben.
Es ist noch zu früh, um irgendwelche Schlüsse zur Brandursache zu ziehen, doch als ich dem Feuerwehrhauptmann erzählte, dass wir alle vergangene Nacht im Arbeitszimmer gesessen, Brandy getrunken und Zigarren geraucht hatten, funkelten seine großen blauen Augen, und er notierte sich eine Bemerkung in seinem Notizblock.
Die Konferenz ist natürlich abgebrochen worden, und nachdem ich am Morgen Fragen beantwortet und Aussagen getätigt habe, sitze ich nun wieder hier und schreibe Ihnen, lieber Mr. Pascoe, in der Hoffnung, dabei meine Gedanken ordnen zu können.
Ich weiß, Sie werden mich für selbstsüchtig halten, doch tief in mir, unter meiner aufrichtigen Trauer über Justinians Tod, liegt ein winziger Klumpen Selbstmitleid.
Gestorben sind auch all meine
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