Die Launen des Todes
»Sergeant Young sagt, ich muss hier bleiben, in irgendeiner sicheren Unterkunft, bis die Verhandlung vorbei ist. Er meint, du wüsstest davon.«
Es folgte eine Pause, bis Oz Carnwath sich meldete. »Da hat er Recht, Schwester. Bleib ruhig da, bis die Sache gelaufen ist. Es wird nicht lang dauern.«
»Wenn du es sagst, Bruderherz. Es ist doch alles in Ordnung, oder?«
»O ja, man passt hier sehr auf mich auf.«
Sie reichte Young das Telefon. Die Tür des Bauernhauses ging auf, ein weiterer Mann kam heraus und schritt auf sie zu; vor dem orangefarbenen Lichtrechteck hatte er etwas Bedrohliches. Sie wollte die Wagentür öffnen, stellte allerdings fest, dass sich der Hebel nicht bewegen ließ.
»Tut mir Leid«, sagte Young. »Die Macht der Gewohnheit.« Er gab die Türsicherung frei.
Der Neue hielt ihr die Wagentür auf. Er war jünger, steckte in einer Lederjacke und hatte den aufdringlichen Blick und das lüsterne Lächeln eines Typen, der sich selbst für unwiderstehlich hielt.
»Holen Sie das Gepäck, Constable«, sagte Young.
»Gepäck? Wir bleiben so lange, dass ich mein Gepäck brauche?«
»Vielleicht was für das Baby. Er benimmt sich sehr brav. Wünschte, das könnte ich bei meinen auch sagen.«
»Sie haben Kinder, Sergeant? Wie viele?«
»Zwei. Um Gottes willen, Mick, pass auf!«
Der Typ in der Lederjacke hatte den Kofferraum geöffnet und hob die Gepäckstücke heraus. Als er sie über die Kofferraumkante schwang, platzte einer von ihnen auf, der gesamte Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Sein lüsternes Lächeln war verschwunden, perplexe Nervosität war an dessen Stelle getreten, wie sie auch bei Kabinettsmitgliedern zu beobachten ist, wenn sie mit moralisch untadeligem Benehmen konfrontiert werden.
Auf dem Boden lagen drei Telefonbücher, eine Tesco-Tüte voller Steine und eine graue Decke, deren Aufdruck sie eindeutig als Eigentum der Mid-Yorkshire Constabulary auswies.
Die Frau löste die Kleinkindertrage und warf sie Young hin. »Passen Sie auf das Baby auf!«
Darauf war er nicht gefasst. Die Trage glitt ihm aus den Händen und drohte kopfüber auf den Boden zu knallen, wovor er sie nur durch einen verzweifelten Hechtsprung bewahrte. Vom Inneren der Trage ertönte ein durchdringendes, kreischendes »Mami!«.
Entsetzt blickte Young auf und musste feststellen, dass die Frau ihm keinerlei Beachtung schenkte.
Sie hatte eine kleine Spraydose aus ihrer Tasche gezogen, richtete sie auf den Typen in der Lederjacke und verabreichte ihm einen kurzen Sprühstoß. Er stürzte nach hinten, fluchte und griff sich ans Gesicht. Young erhob sich. Die Spraydose wurde auf ihn gerichtet. Er hob die Kleinkindertrage, um sich selbst zu schützen, doch es war bereits zu spät. Der feine Sprühnebel traf ihn genau in die Augen. Und während er sich, vor Schmerzen schreiend, wegkrümmte, fiel eine Plastikpuppe aus der Trage und quietschte »Mami!«.
Die Frau hob die Puppe auf und sprach auf sie ein.
»Hier ist Novello«, sagte sie. »Ich glaube, ihr könnt jetzt kommen und alles aufräumen.«
eter Pascoe sah interessiert zu, als an diesem Nachmittag Oz Carnwath seine Zeugenaussage abgab. Allerdings betrachtete er weder das Gesicht des Zeugen noch jenes des Angeklagten, obwohl es sehr unterhaltsam sein mochte zu sehen, wie sich dessen großkotzige Selbstsicherheit in entgeisterte Ungläubigkeit verwandelte, als er statt des erwarteten unsicheren Zögerns die mit fester, selbstbewusster Stimme vorgetragene Versicherung zu hören bekam, dass er, Liam Linford, in der fraglichen Nacht in seinem Lamborghini den Parkplatz verlassen hatte.
Es war nämlich der im Gerichtssaal anwesende Linford Senior, auf den Pascoe seinen Blick gerichtet hielt. Dessen Gesichtsausdruck, sein kaum zu beherrschender Zorn trugen mehr zu Pascoes Feiertagsstimmung bei als noch so viele Weihnachtskarten. Marcus Belchamber gab sein Bestes, um Carnwaths eindeutige Aussagen in Zweifel zu ziehen, hinterließ auf ihnen aber kaum einen Fleck, geschweige denn einen Kratzer. Daher überraschte es niemanden, als die vorsitzende Magistratsrichterin Linford Junior dem Krongericht überstellte, wo im Februar der Prozess stattfinden sollte. Die anwesenden Journalisten allerdings spitzten die Ohren, als, nachdem Belchamber sein Kautionsgesuch vorgetragen hatte, der Staatsanwalt dies mit der Begründung zurückwies, soeben sei ein schwerwiegender Versuch der Zeugenbeeinflussung publik geworden. Die Magistratsrichterin verlangte so schnell
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