Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
wieder alles gut?«, fragte sie und fuhr mit feinfühligen Fingern über meine Rippen. Es tat nicht mehr so richtig weh. Aber plötzlich hatte ich das Bedürfnis, mich auf meine Decke unter den Bücherregalen zurückzuziehen, und strampelte mich frei.
»Schon gut, schon gut. Komm mal wieder vorbei, Kleine. Übermorgen bin ich wieder hier.«
Ist recht, dachte ich. Mit netten Menschen musste man in Kontakt bleiben. Dann aber machte ich mich auf den Heimweg.
Leichter gesagt als getan. Irgendwie hatten die Ereignisse des Nachmittags dazu geführt, dass ich den rechten Weg zurück nicht mehr fand. Ich war etwas ziellos um das gesamte Gebäude gewandert und fandmich plötzlich vor einem Haufen Bienenkörben wieder. Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, hätte sich nicht Meiko, der Gärtnerbursche, dort mit dem Imker unterhalten. Er erkannte mich und stürzte sich sofort auf mich. Ich wäre ihm unter normalen Umständen mit Leichtigkeit entwischt, aber meine getretene Seite fühlte sich steif an, und er packte mich am Kragen. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich im Nacken gebeutelt und dann auch noch hochgezerrt und weggeschleppt.
»Deine Aufgabe ist in der Bibliothek, Mirza!«, grollte der Mann mich an, und seine erdigen Finger verschmutzten mein Fell. Mit einem Fuß trat er die Tür zur Bibliothek auf.
»Verzeiht, Pater Melvinius. Aber Eure Katze hat sich selbstständig gemacht. Ich habe sie wieder eingefangen.«
Ich fauchte ihn an, bekam eine Pfote frei und zog ihm einen langen, blutigen Kratzer über die Hand.
»Ach, danke, Meiko. Ich hatte mir schon Sorgen um sie gemacht. Sie ist nämlich rollig, weißt du.«
»Das auch noch!«
Meiko setzte mich auf der Decke ab, und ich begann, mich sehr gründlich zu putzen. Es war dringend Zeit dafür! Dem widerlichen Meiko drehte ich dabei meine Rückseite zu!
»Ich weiß nicht, mein Junge. Mir widerstrebt es, ein freiheitsliebendes Geschöpf in einem Raum wie diesem gefangen zu halten. Ich denke, sie schätzt ihr kleines Zubrot inzwischen ausreichend, um immer wieder hierhin zurückzukehren.«
Meiko zuckte mit seinen breiten Schultern.
»Wie Ihr meint, Pater.«
»Ich meine es.«
»Wie wollt Ihr den Ein- und Ausgang gewährleisten, ohne dass sie Euch weitere Mäuse von draußen hereinschleppt?«
»Meine Räume liegen gleich nebenan. Von dort kann ich sie nach draußen und in die Bibliothek lassen.«
»Und gleich neben Euch hat der Abt seine Wohnung. Ob er es sich wohl zu seiner Aufgabe machen wird, ihr die Pforte eigenhändig zu öffnen?«
»Schelm!«, wies Melvinius den Gärtnerburschen zurecht.
Immerhin hatten die beiden, nachdem ich über meinem Putzen eingeschlummert war, eine Lösung gefunden. Ich durfte Pater Melvinius’ eigenes Reich betreten. Er hatte einen Wohnraum mit Lesepult und zwei Sesseln. An dem Teppich am Boden konnte man die Krallen wetzen, wurde aber milde ermahnt, es nicht zu tun. Daneben gab es eine Schlafkammer. Ich fand sie karg. Die Wände waren einfach weiß gekalkt, eine Truhe, ein Ständer mit Waschschüssel und Krug, ein Pult mit einer Kniebank, ein Bett, vielleicht etwas breiter als das der Moen, das war alles, was darin enthalten war. Aber aus dem schmalen Fenster in dieser Kammer waren einige der rautenförmigen Glasstücke entfernt und durch eine Holzklappe ersetzt worden, die an einer Sprosse mit Lederriemen befestigt war. Melvinius zeigte mir, wie ich sie mit der Nase aufstoßen konnte, um ins Freie zu hüpfen. Auch zurück würde mir das keine Probleme machen, das Fenster war nicht sehr hoch und der Sims angenehm breit. DieNacht verbrachte ich also diesmal auf Melvinius’ Aufforderung hin nicht in der Bibliothek, sondern in seinem Schlafraum. Die auf den Boden gelegte Decke übersah ich geflissentlich und wählte das Fußende seines Bettes, um zu ruhen. Es schläft sich erholsamer im Rudel als alleine. Der Pater schien das auch so zu empfinden, denn er hatte außer einem leisen Lachen keine weitere Bemerkung dazu gemacht.
Am frühen Morgen fand ich es dann recht nett, auf dem Sims in der Morgensonne eine Weile vor mich hin zu träumen.
Und so begann ein neues Kapitel meines Lebens.
Ein neues Kapitel
Ich genoss meine neu erworbene Freiheit in Maßen. Schon mein erster Ausflug hatte mir ja gezeigt, dass in diesem Revier durchaus unerwartete Gefahren drohten. Von Menschen und Katern. Die Hitze in meinem Blut war noch nicht zur Gänze abgeklungen, und dieser verdammte schwarze Vergewaltiger hatte sich noch einmal über
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