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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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fürs Leben hatte ich mir damit nicht gemacht, aber sein verblüffter Blick war es wert gewesen. Und meine Wut war auch verraucht.
    Meinen Gleichmut brauchte ich auch kurz darauf, als ich durch das Fenster in Pater Melvinius’ Kammer schlüpfte. Die Schwingungen, die ich hier wahrnahm, ließen nichts Gutes ahnen. Der alte Mann kniete an seinem Betpult und hatte die gefalteten Hände vor das Gesicht geschlagen. Er murmelte leise und unzusammenhängend vor sich hin.
    Mir fiel schlagartig wieder ein, wie er angesichts der kreischenden Furie zusammengebrochen war, und rückte näher zu ihm, um zu hören, was er sagte. Viel Sinn ergab es nicht. Er sprach von Schuld und Verantwortung, von den Schatten der Vergangenheit, die ihn verfolgten, von Dämonen und höllischen Geistern, von falschem Zeugnis und unbeschreiblicher Ignoranz. Das Einzige, was mir überhaupt einen Sinn machte, war, dass er von der Herrin an der Quelle sprach. Was er aber mit ihr zu tun hatte, ging aus seinem wirren Gestammel nicht hervor.
    Er stützte schließlich seine Hände auf dem Rand des Pultes ab und legte die Stirn darauf. Ich trat noch etwas näher und fühlte sein Herz unruhig klopfen. Vorsichtig begann ich zu schnurren.
    Er hob den Kopf und sah mich an, zunächst ohne Erkennen im Blick, doch dann klärten sich seine Augen. »Mirza, süße, unschuldige Seele!«
    Aha, wenigstens er billigte mir eine Seele zu. Aber den Zahn mit der Unschuld, den musste ich ihm irgendwann einmal ziehen. Aber nicht jetzt. Ich schnurrte nur weiter.
    Er erhob sich schwerfällig von den Knien und setzte sich auf seine Bettstatt. Ich sprang zu ihm hinauf und versuchte, auf seinen Schoß zu kommen. Er wollte es mir zunächst verwehren, aber dann ließ er es doch zu und kraulte mir ein wenig den Nacken. Ich merkte, dass er allmählich ruhiger wurde.
    »Der heilige Franziskus war ein weiser Mann, Mirza. Und ich bin, neben vielen anderen unangenehmen Dingen, vermutlich auch ein sündiger Häretiker. Deine Gegenwart tut mir wohl, denn du klagst nicht an und du hältst mir nicht meine Taten und Untaten vor. So wie deine Zuneigung, kleine Katze, sollte die göttliche Liebe sein. Bedingungslos und ohne Fragen.«
    Ich hörte auf zu schnurren und warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Erstens habe ich keine bedingungslose Liebe zu verschenken, und zweitens gingen mich die Fragen von vergangener Schuld nichts an. Daran ist doch nichts Göttliches. Andererseits... Melvinius war zu mir immer gut gewesen, und da war so ein komisches Gefühl in mir. So eine vage Vermutung, dass zwischen uns mehr werden könnte, als ob eine Art der Verbindung bestehen könnte, die anders war als die zu anderen Geschöpfen. Ich würde darüber in Muße nachdenken.
    »Deine Augen sind abgrundtief, wie die grünen Waldseen meiner Heimat, Mirza. Was weißt du alles?«
    Vieles, scheint mir, Melvinius. Oder wie immer du heißt, Mensch.
    Aber das ist ein Kapitel für sich.

Ein schmerzliches Kapitel
    Ich hatte einen seltsamen Traum. Natürlich träume ich oft im Schlaf, meistens von erfolgreichen Mausjagden, manchmal von erfolgreichen Kämpfen. Diesmal aber träumte ich von meinem ersten Wurf. Im Mai des vergangenen Jahres hatte ich vier kleine Junge zur Welt gebracht. Zwei gefleckte, wie ich selbst, ein getigertes, wie der Vater, und ein gänzlich weißes Katerchen. Ich war ihnen mit fürsorglicher Liebe zugetan, wie es sich für eine Mutter gehörte. Ich putzte sie und nährte sie, ich zeigte ihnen die Welt und lehrte sie, darin zu überleben. Sie überlebten alle. Sogar der kleine weiße Kater. Obwohl er so ganz anders war als seine drei Geschwister. Er war schwächlicher. Er kam schnell außer Atem. Er stellte sich ungeschickt beim Mausen an. Aber er hatte schon sehr, sehr früh einen unbeschreiblich weisen Ausdruck in seinen Augen gehabt. Wenn ich ganz ehrlich bin – von meinen Kindern umsorgte ich ihn am meisten. An ihn musste ich auch jetzt hin und wieder denken.
    Sie wuchsen rasch heran, die Kleinen, und sie fanden auskömmliche Unterkünfte. Der getigerte Kater, der mir ständig entwischte und kaum, dass er die Augen offen hatte, zu abenteuerlichen Wanderungen aufbrach und dabei keiner Rauferei aus dem Weg ging, zog weit fort, um sich ein eigenes Revier zu erobern.
    Die gefleckten Kätzinnen wurden von einer Magd abgeholt, die sie auf einen Bauernhof bringen wollte, wo sie die Kornscheuer zu bewachen hatten. Den weißen Kater aber hatte die Moen eines Tages fortgebracht. Sie sagte mir, eine

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