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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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bunter gekleidete Frauen folgten, die das Gefieder vieler Vögel auf dem Kopf trugen. Ich fand das erheiternd. Das menschliche Publikum hingegen seufzte ehrfürchtig.
    »Die Dame Caroline von Stommeln. Die beiden anderen hat sie jüngst bei sich aufgenommen«, wisperte es in meiner Nähe. »Es sollen Tante und Nichte sein. Sie heißen Ermine und Johanna van Heege.«
    Die beiden Letzteren warfen recht unbekümmert Blicke um sich, deren Ziel die jüngeren Männer waren. Ich vermutete bei ihnen eine ähnlich unzeitgemäße Hitze des Blutes, wie noch kürzlich bei mir.
    Hinter ihnen wiederum ging ein Jüngling, der sich sehr aufrecht hielt und bemüht war, sowohl ein gleichmütiges Gesicht zu machen als auch seine Umgebung mit größter Aufmerksamkeit zu mustern. Weshalb es ihm gelang, mich zu entdecken.
    Aber er verriet mich nicht, sondern blinzelte mir mit einem Auge verschwörerisch zu. Was für ein süßer Kerl!
    Der Gottesdienst begann, gewaltige Worte wurden gesprochen, Gesang ertönte, und die großzügig bemessenen Weihrauchschwaden benebelten mich halb.
    Dann kam’s. Eine Gruppe Mönche, darunter auch Pater Melvinius, stellte sich um die Schmerzensreiche Mutter und ihren zerschrammten Sohn, und estraten jene vor, die auf Wunder hofften. Ich staunte nicht schlecht. Ein Junge, der an Krücken ging, betete und berührte das Holz, stand dann mit verklärtem Blick auf. Und siehe da, der verdrehte, verkrampfte Fuß war wieder beweglich geworden. Ein ehrfurchtsvolles Gemurmel ging durch die Reihen. Eine Frau mit einem heftigen Zucken im Gesicht wurde an die Pieta geführt und verließ sie ebenfalls mit einem erleichterten Ausdruck. Ein Alter mit gichtigen Fingern hingegen schien nicht so ganz von dem Wunder überzeugt zu sein. Seine vergrämte Miene veränderte sich nicht. Aber manche Wunder dauern ja vielleicht etwas länger, bis sie wirken. Auch das skrofulöse Mädchen, die Schwangere und ein Buckliger suchten Heilung. Dann aber kam ein besonders eindrucksvoller Auftritt. Ein älterer Mann führte eine Frau zu der Heiligenstatue und erklärte, sie könne nicht laut beten, denn sie sei stumm und erhoffe sich Erlösung von diesem Übel. Es war eine seltsame Gestalt, diese Frau. Nicht mehr ganz jung, doch lange nicht so alt, wie ihre grauen Haare sie erscheinen ließen. Sie ging gebeugt, die Augen auf den Boden gerichtet, doch da ich unten saß, konnte ich ihr Gesicht sehen. Über ihre Stirn zog sich eine rote Narbe. Sie hielt einen Stock umklammert und stützte sich mit der anderen Hand auf den Arm des Mannes. Beide Hände waren verkrüppelt.
    »Stella ist vor sechs Jahren zu uns gekommen, und sie hat noch nie ein Wort gesprochen. Doch es war ihr Wunsch, auf die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela zu gehen und an jeder Stelle Halt zu machen, wo sich die Möglichkeit zur Fürbitte ergibt. Bisher istihr keine Hilfe zuteil geworden. Doch nun wollen wir hier beten.«
    Sie trat vor die Pieta, hob die Augen – und kreischte los.
    »Hijo de Puta! Diable! Maldito! Vaya al inferno!«
    Ein Sermon quoll über ihre Lippen, der nicht aufzuhalten war. Sie schwankte, wollte sich losreißen, aber der Mann an ihrer Seite hielt sie fest.
    Das Volk staunte und raunte immer lauter.
    »Ein wirkliches Wunder ist geschehen. Die Stumme hatte ihre Sprache wieder gefunden.«
    »Sie redet in Zungen!«
    »Der heilige Geist ist über sie gekommen!« »Dass ich das noch erleben durfte!«
    »Sie spricht, sie spricht. Gelobt sei Gott!«
    Allerdings gab es zwei Menschen, die auf gänzlich andere als ehrfürchtige Weise auf den Wortschwall reagierten. Der eine war der junge Mann aus Dame Carolines Begleitung. Er krümmte sich vor Lachen und drückte sich die Faust an die Lippen. Über seine Wangen strömten die Tränen. Pater Melvinius krümmte sich auch. Aber nicht vor Lachen. Er war aschgrau geworden und wurde von einem anderen Mönch vorsichtig aus der Kirche geführt.
    Ich zog meine vorwitzige Nase hinter den Vorhang zurück und ergab mich ebenfalls dem Staunen. Ob ich wohl je die menschliche Natur und die Natur ihrer Wunder begreifen würde?
     
    Als der allgemeine Tumult sich gelegt hatte, gelang es mir, mich ungesehen aus der Kirche zu schleichen. Auf dem Vorplatz hatten sich Grüppchen gebildet,und ich entdeckte Meister Clemens in Unterhaltung mit dem edlen Herrn von Rommerskirchen. An seiner Seite stand eine hübsche junge Frau in einem grasgrünen Kleid, die ihm unglaublich ähnlich sah. Zwei meiner ersten Kinder hatten sich ebenfalls

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