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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sechs Jahren hier, doch nie erreichte mich bisher eine Botschaft aus meiner Heimat. Und nun hat mich innerhalb weniger Tage die Vergangenheit wieder eingeholt. Ist das Zufall, Mirza?«
    Der Zufall mochte bei Männern wie Melvinius weniger stark das Schicksal bestimmen als bei anderen Menschen. Ich sah ihn nachdenklich an. Er war ein tiefes Wasser, dieser Mann. Er hatte Abgründe gesehen, die anderen verborgen waren. Ich las es in seinen Augen. Und er las das Verstehen in den meinen.
    Aber dann läutete die Glocke, und mit einem Seufzer drehte Pater Melvinius sich zur Tür.
    »Zeit für die Gebete. Willst du nach draußen?« »Mau!«
    »Na, dann komm mit!«
    Ich hüpfte durch das Fenster und überlegte mir eine neue Runde. Vielleicht sollte ich einmal diesen aufregenden Kräutergarten näher erkunden. Also bog ich an der Hecke nach links ab und lenkte meine Schritte Richtung Kuhstall.
    »Mach, dass du hier wegkommst!«, fauchte mich unerwartet der Schwarze an, der wie ein Schatten unter dem Gebüsch erschienen war.
    »Du hast mir überhaupt nichts zu sagen. Das hier ist nicht dein Revier!«
    »Deins auch nicht. Bleib bei deinen Menschen. Das ist keine Gegend für dich!«
    »Angeber. Ich kann meine Wege wählen, wie ich will.«
    »Du bleibst besser im Haus und lässt dich mit süßer Sahne füttern.«
    »Hältst du mich für einen Weichling?«
    Ich stemmte die Vorderpfoten breit in den Boden und blitzte Diabolo herausfordernd an. Wanze hatte ich ja auch schon verprügelt. Wenn er unbedingt die Kralle spüren wollte, konnte er das haben.«
    »Lass es, Schätzchen. Ich will dir nicht weh tun!« »Großmaul!«
    »Schoßkätzchen!«
    »Gossenkater!«
    »Schmusepelzchen!«
    »Herumtreiber!«
    »Bettschätzchen!«
    »Maulheld!«
    Wir zischten und fauchten einander nach allen Regeln der Kunst an, und ich muss gestehen, dass mir allmählich die Schimpfworte ausgingen. Mir blieben nur zwei Möglichkeiten – entweder ich griff ihn an und zog ihm ein paar Fäden aus dem Fell, oder ich leitete einen ehrenvollen Rückzug ein. Mein dämlicher Schwanz peitschte wie besessen hin und her und verriet meine Unschlüssigkeit. Diabolos Schwanz blieb völlig gelassen neben ihm liegen. Er wusste, was er wollte. Mich hier weghaben.
    Also ging ich.
    Ein Stückchen. Bis ich außer Sichtweite war. Dann schlug ich wieder die Richtung zum Kräutergarten ein. Der kürzeste Weg führte direkt an den Stallungen vorbei, und ich konnte nur hoffen, Laus und Wanzederzeit nicht auf ihrem Beobachtungsposten anzutreffen.
    Ich kam ungeschoren an den Gebäuden vorbei und passierte die Meierei, eine Quelle überaus köstlicher Gerüche. Eine kleine Einkehr war notwendig.
    Mit einem Milchbart setzte ich meinen Weg fort.
    Das Kräuterbeet war verlassen, Meikos Hütte leer. Ich vergnügte mich eine Weile mit intensivem Durchschnuppern der Pflanzen. Rosmarin und Thymian, Petersilie und Lavendel, Weinraute und Majoran, Wermut und – ahhh! – Katzenminze. Ein kurzer Moment schlichter Ekstase gehörte einfach dazu. Dann Melisse und Salbei, Liebstöckel und – igitt! – Meerrettich. Beinwell und Dill, Johanniskraut und – ohhh! – Baldrian. Noch ein wenig Rausch und Verzückung. Kerbel und Kamille, Fenchel und Anis. Und – uhhh, pfui Deibel! – Knoblauch. Dennoch, es war ein reines Duftparadies. Ich vergaß die Zeit vollkommen, und es dunkelte schon, als ich mich endlich losreißen konnte. Sehr hastig machte ich mich auf den Rückweg. Ich wollte meinen Pater ja nicht in Besorgnis bringen.
    Es zeigte sich, dass ich wahrhaftig dümmer war als die dumpfen Wiederkäuer auf der Weide. Wanze und Laus stellten mich. Wanze, noch immer stinkig von seinem Bad im Kuhfladen, hielt sich nicht mit Drohgebärden und Beschimpfungen auf, sondern sprang mich direkt an. Laus fiel von der anderen Seite über mich her.
    Ich gebe zu, wir waren laut. Ich trat und schlug und biss und kratzte. Aber diesmal half mir kein Trick und kein Entwischen. Zu zweit waren sie überlegen. Ich hatte schon ein paar blutende Stellen im Fell und einige Büschel Haare verloren, als ich eine weiße Gestaltauf uns zuflattern sah. Erst dachte ich, das sei so jemand wie diese beflügelten Menschen, die der Maler in der Kirche abgebildet hatte, aber dann erkannte ich Melvinius. Auch er schrie und klatschte laut in die Hände.
    Wanze und Laus machten sich aus dem Staub. Melvinius sank neben mir in denselben.
    »Mirza, Mirza!«, keuchte er. Und neben meinen eigenen Schmerzen spürte ich sein flatterndes

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