Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
Nüsse reifen.
Hufschlag schreckte mich auf, und ich brachte mich auf einem Baum in Sicherheit. Pferde sind zwar an sich nicht übel wollend, aber sie sind entsetzlich groß, und ob sie immer genau wissen, wohin sie ihre Hufe setzen, wage ich zu bezweifeln. Vor allem aber hatte ich von meinem Ast aus auch einen recht guten Überblick über das Geschehen.
Es war der Jüngling, der vor einigen Tagen die Dame Caroline begleitet hatte. Jehan war sein Name, erinnerte ich mich. Er entdeckte Kristin und grüßte sie sehr höflich. Sie schienen sich schon häufiger begegnet zu sein, wie ich aus ihrem fröhlichen Geplauder schließen konnte. Er war auch bald abgestiegen und suchte mit Feuereifer ebenfalls nach Pilzen.
»Seid Ihr schon einmal an der Quelle der guten Fee gewesen, Kristin? Dort gibt es besonders viele Steinpilze.«
»Nein, Jehan. Ich kenne mich hier noch nicht so gut aus. Alleine traue ich mich nicht tiefer in den Wald hinein.«
»Dann wollt Ihr Euch vielleicht meiner Führung anvertrauen. Ich habe schon viele Stunden hier verbracht. Ich kenne mich gut aus.«
»Dein Angebot nehme ich gerne an. Nur schau, für heute ist mein Korb fast gefüllt.«
»Kommt Ihr morgen wieder her?«
»Übermorgen, Jehan. Ja, ich denke in zwei, drei Tagen werde ich nochmals Pilze sammeln.«
»Dann nehmt einen größeren Korb mit!«
»Ei, und wer soll die alle essen, mein Junge?« »Ihr ladet mich einfach dazu ein.«
»Das ist natürlich eine gute Idee.«
Kristin lachte ihn an und nahm den Korb auf. Er ergriff ihn und sagte: »Lasst mich das tragen.«
»Danke, oh, und die dort muss ich aber noch mitnehmen.« Kristin bückte sich nach einer weiteren kleinen Kolonie von Pilzen. Dabei fragte sie: »Was ist das für eine Quelle, von der du sprachst? Warum heißt sie Quelle der guten Fee?«
»Das ist eine alte Geschichte. Die Dame Caroline hat sie mir erzählt, und die hat sie von ihrer Großmutter. Die aber kannte sie schon von ihrer Urgroßmutter. Wollt Ihr sie hören?«
»Aber selbstverständlich.«
»Die Quelle heißt so, weil einst eine gute Fee dort gewohnt hat und über das Wasser wachte, sodass es nie versiegte. Die Fee war sehr schön und hatte lange, goldene Haare. Wem sie einen Trunk von Quellwasser reichte, der wurde von allen Krankheiten geheilt und lebte gesund bis ins hohe Alter. Doch sie reichte den Kelch nur demjenigen, der den Schwur tat, nie unnötiges Blut im Wald zu vergießen, weder von Mensch noch von Tier.
Am Waldrand aber lebte ein reicher Gutsbesitzer, der zwei Söhne besaß. Der jüngere liebte die Jagd und zog oft mit Pfeil und Bogen bewaffnet durch das Dickicht. Als er sich eines Tages tief in den Wald hinein gewagt hatte, traf er auf die Quelle und entdeckte die schöne Fee, die ihr Bad in dem kristallklaren Wasser nahm. Er war überwältigt von ihrem Anblick und begehrte sie mit großem Verlangen. Er trat auf sie zu und bat sie um einen Trunk des kalten Wassers, sie jedoch verweigerte ihm den Kelch, denn er trug über die Schulter geworfen das noch blutige Fell eines Luchses.Er aber war so entbrannt in seiner Leidenschaft, dass er ihr Gewalt antun wollte. Bevor er jedoch seine Hand an sie legen konnte, raschelte es in den Büschen, und sein älterer Bruder, der einen kranken Köhler besucht hatte, gebot ihm Einhalt. Der Jüngere wollte nicht auf ihn hören, und sie kämpften bis aufs Blut. Schließlich schien der Ältere überwältigt, und entsetzt von dem Brudermord floh der andere von der Stätte.
Die Fee aber hatte Erbarmen mit jenem, der ihr zur Hilfe geeilt war, und reichte ihm den Kelch mit dem heilenden Wasser. Mit seiner letzten Kraft trank der Verletzte ein paar Tropfen – und siehe, seine Wunden hörten zu bluten auf, und er genas auf der Stelle. Er war dankbar und leistete gerne den Schwur, den die Fee von ihm forderte. Auch ihm war sinnloses Töten ein Gräuel. Die Fee indes wollte sich für seinen Beistand erkenntlich zeigen. Sie tauchte in die Tiefe der Quelle und brachte einen durchscheinenden Kristall herauf. Sodann zupfte sie sich eines ihrer goldenen Haare aus und ließ es mit dem schimmernden Stein verschmelzen, wodurch er wie mit Goldfäden durchzogen aussah.
Dies sei ein Amulett, das den Träger beschütze und ihm die Kraft schenke, mit allen Widrigkeiten des Lebens fertig zu werden, erklärte sie.
Der ältere Bruder kehrte also unversehrt heim, und als der Jüngere ihn wieder sah, wuchs sein Groll gegen ihn, denn ganz offensichtlich hatte er die Gunst der Fee
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