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Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl

Titel: Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verdingte Menard sich auf einem Islandfahrer. Das Geschäft war sehr einträglich – aber es war auch gefahrvoll. Und es bedeutete lange Abwesenheit von der Heimat. Beatrice war jung und hübsch. Es fand sich ein anderer Mann, mit dem sie eine Liebelei begann. Als sie entdeckte, dass sie von ihm schwanger war, ging sie zu einer Engelmacherin. Eine Fremde, die ihrem Mann aus einem fernen Land gefolgt war. Sie machte einen Fehler, und als Menardvon seiner gefährlichen Fahrt zurückkam, fand er von seinem Weib nur noch das kalte Grab. Er blieb nicht mehr lange an jenem Ort, er begab sich auf weite Reisen. Ich habe ihn aus den Augen verloren.«
    Meiko hatte sich während der Erzählung neben Melvinius gesetzt und schwieg lange. Da er ganz offensichtlich nichts dazu sagen wollte, fuhr der Pater fort: »Du sprichst meine Sprache sehr gut, mein Freund. Und mit dem Akzent meiner nördlichen Heimat. Aber glaube mir, wenn du hier Meiko, der Gärtnerbursche sein willst, dann wird von mir niemand etwas anderes hören, als dass du genau der bist.«
    Meiko schwieg noch immer, aber sein Gesicht zeigte die vielfältigen Gefühle, die in ihm miteinander rangen. Schließlich seufzte er. Dann stellte er eine einzige Frage.
    »Die Engelmacherin – es war Stella, die stumme Spanierin?«
    »Ja, mein Sohn.«
    Er holte tief Luft und meinte dann: »Es ist gut, dass sie fort ist.«
    »Ja, mein Sohn.«
    Ich musste mir kräftig die juckenden Ohren kratzen. Das war ja wirklich eine Offenbarung. Meiko war Menard, und er kannte Melvinius von früher. Ein Verbrecher war er aber wohl nicht. Und jetzt, verdammte Mäusepisse, summte mir ein ganzer Schwarm neuer Fragen im Kopf herum.
    Wer war Meiko wirklich? Warum war er hergekommen? Warum spielte er den Gärtner, wenn er doch Fischer war? Und Bücher lesen konnte? Hatte er Melvinius gleich erkannt? Warum vertraute er sich ihmnicht an? Was war mit seinem Sohn passiert? Warum war er in jener Spätsommernacht auf einem prächtigen Ross reitend hier eingetroffen?
    Während ich so vor mich hin dachte, bemerkte ich nicht, dass die beiden Männer aufgestanden waren und ihren Spaziergang fortgesetzt hatten.
    Es ist schon lästig, dass mir jedes Mal, wenn ich ins Grübeln gerate, die Augen zufallen.
     
    Ich fand mich einige Zeit später also alleine am Waldrand wieder, und schon zwickte mich die Abenteuerlust. Ich nahm mir vor, mir sehr genau den Rückweg zu merken und sehr, sehr achtsam zu sein. Mit diesen guten Vorsätzen drang ich in das Dickicht ein.
    Ahh, diese Waldgerüche! Meine Nase ergötzte sich an modrigem Laub und feuchtem Moos, frischen Hasenknüddeln und herbstlichen Pilzen. Meine Ohren labten sich an Käfergekrabbel und Spechtgeklopfe, Waldmauspfeifen und dem Wispern trockener Blätter. Meine Pfoten berührten Spinngewebe und seidige Gräschen, meine Krallen schärften sich an borkigen Stämmen und verwittertem Holz, dass die Späne nur so flogen. Dann fand ich den Pfad. Kaum sichtbar, doch riechbar. Der Pfad einer Katze. Das war aufregend – und gefährlich! Mit äußerst wachen Sinnen folgte ich ihm ein Stück. Seltsam, keine Markierung, keine Warnung, dass hier eine Reviergrenze sei. Immer wieder sah ich mich um, konzentrierte mich auf meine Schnurrhaare und schnupperte. Es ging von nirgendwoher eine Bedrohung aus. Dennoch hielt ich inne, denn langsam richteten sich die Haare auf meinem Rücken auf. Ich wurde beobachtet. Ganz gewissfühlte ich Augen auf mir ruhen. Mit sehr bedächtigen Bewegungen drehte ich mich um meine eigene Achse. »Ein neugieriger, kleiner Fratz!«
    Die raue, heisere Stimme kam von oben. Ich zuckte zusammen und suchte verzweifelt eine Deckung.
    »Keine Angst, Katze. Dich beiße ich nicht. Es sei denn, du legst Wert darauf!«
    Ich sah vorsichtig nach oben, und wenn mich das Entsetzen nicht derart gelähmt hätte, wäre ich spornstreichs davon gestürzt. Das war die größte Katze, die ich je erblickt hatte. Sie lag auf einem niedrigen Eichenast, und ihr schwarzer Schwanz baumelte zwanglos herunter.
    »Bleib stehen, Fratz!«, befahl sie und machte einen Satz auf den Boden. Sie überragte mich um mehr als das Doppelte. Gelbbraun war ihr Fell, dunkler gefleckt und am Bauch heller. Besonders beeindruckte mich der breite Backenbart und die aufrechten, schwarzen Pinsel an den Ohren. Ihre Nase kam näher und näher und nahm meinen Geruch auf. Ich hielt den Atem an, bis sie mit der Musterung fertig war. Dann setzte sie sich vor mich hin, und ihre goldenen Augen funkelten.

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