Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
Sohn, verständlich. Eure Mutter war eine gottesfürchtige Frau. Wir werden den Splitter von der Wiege Christi mit der ihm zustehenden großen Achtung behandeln und bei dem nächsten Stifterfest den Wallfahrern zur Schau stellen.«
»Eine hervorragende Idee, ehrwürdiger Vater. Möge die Reliquie die Wunder vermehren, die in Eurem Kloster schon geschehen sind.«
»Das wird sie gewiss. Und Dank auch für die beiden Bücher, die Ihr mir gestattet habt, Euch abzukaufen. Unser Bibliothecarius wird voll der Freude sein, sie in unsere Sammlung aufzunehmen.«
Sie verabschiedeten sich mit offensichtlichem gegenseitigen Wohlwollen. Frau Johanna und Jungfer Ermine rauschten mit dem Herrn von Rommerskirchen Richtung Pferdestallungen.
Ich schlüpfte durch meine Klappe und fand PaterMelvinius mit der Brille auf der Nase über einen Folianten gebeugt. Das dicke Buch roch anders als die, zwischen denen ich gewöhnlich stöberte, und so vermutete ich stark, dass es sich um die Neuerwerbung handelte. Mein Pater war so versunken darin, er bemerkte nicht einmal mein Begrüßungsmaunzen. Also rollte ich mich an meinem Lieblingsplatz zwischen den Weltkarten zusammen, pflegte mich und anschließend der Ruhe.
Erst mit dem Sonnenuntergang erwachte ich – selbstverständlich pünktlich zu der von Melvinius servierten kleinen Mahlzeit. Er hätte sich bestimmt nicht daran erinnert, zerstreut, wie er manchmal war, wenn er sich in seine Bücher vertiefte, aber auf Yvain konnte man sich verlassen. Er mahnte seinen Herren auch an, sich die Augen nicht in dem schwindenden Licht zu verderben, und schlug ihm das Buch auf dem Pult zu.
Ich war am folgenden Tag sehr früh auf den Pfoten und entschloss mich zu einem umfangreichen Rundgang. Vor allem wollte ich wieder einmal in der Basilika vorbeischauen und die Fortschritte an Meister Clemens’ und Kristins Gemälden begutachten.
Weder der Maler noch seine Schwester waren anwesend, dagegen werkelten Meiko und ein rundlicher Mönch am Chorgestühl herum.
»Pater Gerardus ist gestern bei der Komplet mit diesem Sitz zusammengebrochen, Meiko. Es war sehr unangenehm...«
»Ja, Bruder Camerarius, das kann ich mir denken. Pater Gerardus ist recht schwergewichtig.«
»Wir hatten große Mühe, ihn wieder auf die Beine zu stellen.«
»Ein sehr bedauerlicher Zwischenfall.«
»Kannst du das Gestühl richten?«
»Ich will sehen, was sich tun lässt. Doch ich fürchte, hier hat der Holzwurm seine zerstörerische Arbeit geleistet. Seht, das Holz ist ganz morsch und durchlöchert. Ich kann auf die Schnelle nur die einzelnen Teile wieder zusammenfügen, aber um es wirklich stabil zu machen, wird eine neue Lehne notwendig sein.«
»Wie bald kannst du es richten?«
»Flicken werde ich es jetzt gleich, aber das neue Holz muss ich erst schnitzen. Heute zwischen der Non und der Vesper könnte ich es wohl fertiggestellt haben. Ihr solltet bis dahin einem leichteren Bruder diesen Platz anweisen.«
»Das wird sich gewiss machen lassen. Dank dir, Meiko.«
Der weiße Mönch wehte durch den Seitenausgang zum Kreuzgang hin, und Meiko kniete sich neben das Gestühl und wühlte in seiner Werkzeugkiste herum. Ich gesellte mich zu ihm, um zu sehen, was er dort anstellte.
Er zog einen hölzernen Pfropf aus der Lehne und wollte den Sitz entfernen. Dabei entglitt seiner verstümmelten Hand eben jenes Holzstückchen, kollerte über den Steinboden und verschwand unter der Treppe zur Kanzel. Meiko gab ein zorniges Knurren von sich, aber ich war schon auf dem Sprung. Das Spielchen kannte ich. Fein, schon hatte ich den Pfropf erspäht, machte mich vorne ganz platt, schob michunter die Stufe und angelte mit der Pfote danach. Da hatte ich ihn mit der Krallenspitze erwischt, zog ihn hervor, nahm ihn zwischen die Zähne und trug ihn, stolz auf meine Leistung, zu ihm hin. Dabei stellte sich mein dusseliger Schwanz hoch auf, als hätte er diese Meisterleistung vollbracht.
Angeber, der!
»Oh, Mirza!« Meiko lachte plötzlich auf und sah gar nicht mehr knurrig aus. »Das ist aber fein!«
Ich ließ den Pfropf fallen, und er streichelte mir – Wunder geschehen – ganz liebevoll über den Rücken. Dann wandte er sich wieder dem Chorgestühl zu und nagelte irgendetwas zusammen. Ich hingegen hatte jetzt Lust auf ein weiteres Spielchen bekommen und suchte den Stopfen des Weinkrugs, mit dem Kristin, Clemens und ich eine so fröhliche Zeit verbracht hatte. Er lag bei den Farbtöpfen hinter dem Vorhang, und ich schleppte ihn zu dem
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