Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
Ein bisschen legte sich die Angst in mir. Diese Riesenkatze war nicht feindlich gesonnen.
»Ich bin Mirza und lebe bei den Menschen im Kloster«, wagte ich mich vorzustellen.
»Geschmackssache, das mit den Menschen. Man ruft mich Raguna, und ich lebe hier im Wald. Ich bin die Älteste einer weitläufigen Luchsfamilie, die sich das Revier hier teilt.«
»Ich grüße dich, ehrwürdige Gevatterin Raguna.« »Ah, gute Manieren hat der Fratz. Ich grüße dichebenfalls, Mirza. Nicht oft traut sich eine deiner Art in meinen Wald. Selbst die beiden graugetigerten Tunichtgute wagen sich nicht weiter vor als bis zum Bach.«
»Ich ziehe mich auch sofort wieder zurück.«
»Ach, lass nur. Gelegentlich genieße ich ein wenig Unterhaltung. Meine Familie, wie gesagt, lebt weit verstreut. Und erst vor wenigen Tagen sind zwei von ihnen ermordet worden.«
»Ermordet?«
»Von Pfeilen getroffen. Die Menschen, Mirza, sind nicht so freundlich, wie du sie vielleicht kennen gelernt hast.«
»Nein, das sind nicht alle. Einige mögen auch mich nicht. Aber warum mit Pfeilen ermordet?«
»Aus Freude am Töten. Sie nennen es Jagd, und meist trifft es Wildschweine und Rehe, Hasen und Wachteln. Die essen sie. Das ist so weit noch verständlich. Macht ja unsereins auch! Uns aber töten sie, weil auch wir sie töten könnten! Und weil sie sich gerne mit unseren Pelzen schmücken.«
»Die Mönche auch?«
»Sogar die. Aber vor allem die Gutsherren und ihre Sippschaft. Also nimm auch du dich in Acht, wenn du durch die Wälder streifst. Vor allem, wenn du Richtung Rommerskirchen gehst. Dort gibt es einen neuen Herrn, und den belustigt das Jagen und Töten mehr als alle anderen. Wende dich besser Richtung Stommeln, dort im Süden. Da lebt eine Menschenfrau, die Katzen liebt.«
»Die Dame Caroline vom Clarenhof!«
»Richtig, die Dame, und jetzt auch ein Junge, dergerne im Wald herumstromert. Berichte mir ein bisschen von dir, Mirza.«
Die Luchsin wirkte freundlich, ich tat ihr gerne den Gefallen und erzählte von der alten Moen, die sie gekannt hatte, weil sie manchmal in Ragunas Revier Beeren und Nüsse gesammelt hatte, von Diabolo, was ihr ein wissendes Knurren entlockte, von Melvinius, meinem liebenswürdigen, aber anfälligen Menschenfreund, dem sie noch nicht begegnet war, und von Meiko, dem seltsamen Gärtner.
»Ich habe ihn beobachtet. Du hast Recht, er trägt ein Geheimnis mit sich herum. Lass deine Nase davon, wenn du meinen Rat hören willst. Menschen sind verlogen und unaufrichtig.«
»Ich werde mich bemühen, deinem Rat zu folgen, Gevatterin.«
»Dich bemühen, ja, ja. Fällt einem neugierigen Fratz wie dir schwer, denke ich mir.«
Wir verabschiedeten uns im besten Einvernehmen, und ich kam gerade rechtzeitig zu meiner abendlichen Portion gedünsteten Hühnchens.
Danach fiel ich, rechtschaffen müde, in einen tiefen, langen Schlaf.
Er brachte mich in Sachen Meiko nicht weiter. Aber ich erwachte erholt und voller Tatendrang.
Fünf Bibliotheksmäuse erledigt.
Gründliche Waschung.
Alle Tannennadeln und Moosfusseln entfernt. Kleine Ruhepause.
Mit Melvinius durchs Gelände.
Zu meiner allergrößten Freude schloss sich unsheute Kristin an. Sie war als Mädchen zu erkennen und trug einen Weidenkorb am Arm. Meinen Pater begrüßte sie recht schüchtern.
»Wollt Ihr in die Pilze, Jungfer Kristin?«
»Oh ja, Pater. Man sagte mir, dass dieser Wald reich an Schwämmen und Pfifferlingen ist. Es spricht doch nichts dagegen, oder? Ich meine, es ist doch Gemeindewald?«
»Es ist Klosterwald, aber ich bin sicher, unser Orden kann einen Korb Pilze entbehren.«
»Ihr seid sehr freundlich, Pater Melvinius. Ich sehe, auch Eure Katze hat tiefe Freundschaft mit Euch geschlossen.«
»Ja, Mirza ist recht anhänglich. Sie ist ein zutrauliches Tierchen. Wenn sie auch oft ihre eigenen, geheimnisvollen Wege geht, so kommt sie doch immer wieder zu mir zurück.«
»Katzen vergelten Zuneigung mit Zuneigung. Mich... äh, meinen Bruder besucht sie manchmal in der Basilika.« Kristin kicherte ein bisschen verlegen. »Meist genau dann, wenn er seine Mahlzeit einnimmt. Sagt er.«
Warum musst du lügen, Kristin?, fragte ich mich.
»Sie ist ein Leckermäulchen, das habe ich schon bemerkt. Aber das mag meine Schuld sein. Ich gebe ihr nämlich von meinem Teller auch immer ein Häppchen oder zwei.«
Kristin bückte sich und kraulte mich kurz zwischen den Ohren.
»Habt Ihr und Euer Bruder Euch in dem Häuschen in Dellenhofen eingerichtet, Jungfer
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