Die Laute (German Edition)
und streicht mit ihnen dann sein glattes schwarzes Haar nach hinten. Ein intensiver Geruch nach Oliven und Palmharz füllt das Zimmer. Asis lächelt und will seinen langjährigen Zimmergenossen auf seine Anwesenheit aufmerksam machen. Es wundert ihn, dass Said sein Eintreten nicht gehört hat.
Doch nun beginnt Said, sich seltsam zu bewegen. Mit der einen Hand hält er sich den Spiegel vor dem Gesicht, mit der anderen scheint er einen unsichtbaren Tanzpartner umschlungen zu halten. Seine Füße bewegen sich flink auf Zehenspitzen durch den Raum. Den Rücken hält er gerade, aber die Hüften bewegen sich erregt hin und her wie bei einem Rüden, der eine läufige Hündin bespringt, denkt Asis. Dann sieht er das kleine grüne On-Lämpchen an Saids Computer. Der Bildschirm ist zwar leer, aber aus den Lautsprechern dringen womöglich Töne. Nun spürt er unter und neben den Erschütterungen durch Saids Ballettsprünge auch das Pulsieren von Musik, moderner amerikanischer Musik mit dumpfen, maschinenartigen Bässen.
Endlich entdeckt Said den stillen Beobachter. Er wirft den Spiegel aufs Bett und ergreift stattdessen Asis’ Schultern. Wie ein liebestrunkener Derwisch wirbelt er mit Asis durch das Zimmer, lacht, schaut im nächsten Augenblick todernst, schneidet Fratzen, lässt wie ein Wüstengecko die Zunge herausschnellen, rümpft die Nase, reißt die Augen auf, dass die Augäpfel herauszuspringen drohen, kreist mit den Hüften, bis das Handtuch sich löst, lässt es achtlos zu Boden fallen, tanzt nun nackt weiter, lacht, und nun lacht auch Asis, lässt sich von Said führen, und vom rastlosen Rhythmus der Maschinen.
Offenbar ist die Musik aus Saids Rechner zu einem abrupten Ende gekommen. Asis spürt die Schwingungen nicht mehr. Said lässt ihn los und wirft sich, immer noch lachend, aufs Bett.
»Was ist los?«, fragt Asis, indem er seine geöffnete Hand waagerecht schüttelt, eine Geste, die Said auch verstehen würde, wenn Asis ihm nicht die wichtigsten Gebärden beigebracht hätte. »Was ist los?«, wiederholt seine Hand ungeduldig. »Bist du verliebt?«
Said streift sich eine Hose über, geht zu seinem Schreibtisch und notiert: »Ich gehe im nächsten Sommer nach Amerika. Habe einen Studienplatz für Informatik bekommen!«
»Informatik?«
»Computerkram«, schreibt Said. »Dann hast du endlich ein Zimmer für dich allein,« fügt er hinzu.
Asis zwingt sich zu lächeln und schüttelt Said die Hand. Dabei fühlt er sich hundeelend, ohne den Grund recht zu verstehen.
»Ich werde auch bald fortgehen«, gebärdet er.
»Wohin willst du gehen?«
»Ich weiß noch nicht. Vermutlich auch ins Ausland.«
Said blickt ihn zweifelnd an.
»Ich würde es dir gönnen, Asis. Aber für Jemeniten ist es im Augenblick fast unmöglich, ein Visum zu bekommen. Und was würdest du dort überhaupt tun wollen?«
»Studieren, wie du!«
Said setzt zu einer Antwort an, lässt den Stift dann aber sinken. Asis weiß ohnehin, was sein Freund hat entgegnen wollen.
»Vielleicht solltest du mit meinem Onkel sprechen. Er ist gerade für ein paar Tage zu Besuch.«
»Dein Onkel?«
»Dr. Fuad. Du erinnerst dich doch noch an ihn, oder?«
Der Arzt hat sich äußerlich kaum verändert. Vier Jahre im Leben eines Erwachsenen bedeuten nicht dasselbe wie für einen jungen Menschen in Asis’ Alter. Er errötet unter dem ihn wohlwollend musternden Blick Dr. Fuads. Seine anfängliche Freude über das Wiedersehen schlägt um in Scham über den Missbrauch der Großzügigkeit seiner Gastgeber. Sicher hat Ali seinem Bruder von seinen beschämenden Taten erzählt. – Asis setzt eine abweisende Miene auf.
»Ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber ich würde gerne über deine Zukunftspläne mit dir reden«, schreibt Dr. Fuad auf seinen Rezeptblock. – Auch der Arzt ist zunächst sehr bewegt, seinen Schützling nach vier Jahren wiederzusehen. Doch um Asis nicht das Gefühl zu geben, ihm in irgendeiner Form verpflichtet zu sein, gibt er sich nun kühl und beiläufig.
»Ich habe gehört, dass du ein sehr gutes Abschlusszeugnis bekommen wirst«, notiert er. »Aber es wird dir hier nicht viel nutzen. Im Jemen gibt es keine Möglichkeiten für einen Gehörlosen zu studieren.«
Asis zuckt gleichgültig die Schultern. Dr. Fuad hätte aus langjähriger Erfahrung eigentlich wissen müssen, dass diese mürrische Miene nicht Asis’ wahres Gesicht sein kann. Aber seine eigene verwirrende Zuneigung zu diesem Jungen trübt seinen analytischen Verstand.
Weitere Kostenlose Bücher