Die Laute (German Edition)
schöne Stadt, sprach er nicht von Nowa Huta, sondern von Krakau. Jeder in Polen hält Krakau für eine schöne Stadt. Doch ich fühle mich in Nowa Huta, Krakaus hässlicher Schwester, wohler. Diese verbrauchten, grauschwarzen Fassaden aus billigem Beton, Bögen, Säulen und Friese der ersten Wohnblöcke zeugen noch von dem geplanten Triumph. Bis heute sind die Schaufenster vieler Läden vergittert. Dekorative Auslagen sind hier bedeutungslos. In strammstehenden Buchstaben verkünden handgemalte Schilder, was es zu kaufen gibt, OBUWIE – Schuhe; WĘDLINY – Wurstwaren; DELIKATESY – Feinkost, unter dessen Schriftzügen der Kunde im vergitterten Schaufenster allerdings nur Lockenwickler, Babyflaschen oder Brillentücher findet. Immerhin, stille Zeichen der Hoffnung.
Die Blumenbeete zwischen Gehweg und Fahrbahn, auch sie leblos und still. Und das Riesenrad auf dem Werksplatz dreht sich still, ein einziges stilles Kind in einer der rostenden Gondeln. Darüber der aschgraue stille Himmel.
Ich blättere missmutig durch die Notizen, mit denen ich vor zwei Wochen, kurz nach Doktor Fuads Nachricht vom Tod meines Vaters, begonnen habe. Warum will ich diese Kindheitserinnerungen festhalten? Sie lenken mich doch nur von meiner eigentlichen Arbeit ab. Und sind sie überhaupt wahr? Ich habe mich zwar nicht zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, aber welchen Sinn sollen die Aufzeichnungen haben, wenn sie nicht einmal wahr sein könnten.
Ich räume diese nächtlichen Erinnerungsversuche zusammen und lege sie in die Schublade mit den unerledigten Dingen. Dann gehe ich in die Küche, brühe mir eine neue Tasse Tee auf, kehre an meinen Schreibtisch zurück und arbeite am Libretto weiter.
CHOR
Und Apoll erblasst vor Neid
Venen und Arterien werden eng
Der Gott steht unter Schock
Nach der Blässe färbt die Haut
Sich gelb und grün die Bitterkeit
Staut sich ins Blut zurück
Stößt gallensauer auf der
Neidsud Seelengallsucht
APOLLON
Möge doch die ganze Welt
Zugrunde gehen lieber hörte ich
Das Erdenrund in Flammen
Als noch einmal solche Melodie
MARSYAS
Ich verstehe deinen Neid oh Gott
Der Musen du hast keine andre Wahl
Deine Größe lässt sich nicht
Beliebig mindern ohne dass du
Deine Macht verlierst
APOLLON
Still Kretin deine Töne sind so
Hässlich wie dein Aussehen
MARSYAS
Ja ich seh in deinem Antlitz
Steht die Angst hast einen Ton
Gehört die Stimme eines mächtigeren
Gottes als du es bist
Marsyas ist eher unsympathisch, ein Prahler, hemmungslos, lüstern, ungehobelt; verführt mit seiner Flöte (Mozart & Constanze); unbändige Vitalität
MARSYAS
(respektlos)
Dein Gezupfe wirkt so müde
Wie dein schlaffes Glied
APOLLON
Den Balg werd ich dir abziehn Hund
Dass du am Ende doch noch beten lernst
Und wenn nicht beten so doch winseln
MARSYAS
Nicht an mir bist du gescheitert Gott
Sondern an dir selbst spielst deine Laute
Nicht aus Liebe sondern aus Berechnung
APOLLON
Schweig der Wettstreit ist vorbei
Nun bin ich wieder Gott und
Du bist Sterblicher
Apollon fühlt sich von etwas Mächtigerem als Marsyas getäuscht, vielleicht den Sphärenklängen, dem Superstring … Doch er hat den Willen und die Macht, sich dafür am sterblichen Marsyas zu rächen
.
MARSYAS
Wäre nicht der Neid der Götter wir Menschen
Hätten glücklich werden können
(Marsyas letzte Worte am Schindbaum?)
APOLLON
(ruft den Himmel an)
Du Weltenharmonie größer als wir
Olympischen brauchst Marsyas damit du
Eingang in die Welt erlangst doch
Nehme ich ihn dir ohne seine Flöte
Bleibst du für die Erdenohren stumm
MARSYAS
Du bist kein Musengott du bist ein
Neidbenagter Knochen die Musik wird es
Noch geben wenn du und deine
Götterbande längst vergessen seid
…
MARSYAS
Um was hast du gebettelt als du noch
Ein Knabe warst war es nicht Ruhm
Für deine Einzigartigkeit nun stehst du
Ganz und gar in Ruhm gemeißelt vor mir
Allein die Einzigartigkeit sie fehlt
APOLLON
Mag sein doch siehe Marsyas mag deine
Musik auch einzigartig sogar göttlich sein
Die Götter aber lieben dich nicht
Niemand kommt und fällt mir
In den Arm um deine Haut zu retten
MARSYAS
Du glaubst ich hätt es nicht gewusst
Es gibt Gerechtigkeit so wenig wie die Götter
APOLLON
Und welche Hand ists dann die dir
Die Haut abzieht
MARSYAS
Die Hand des Neids
Was ist das Geheimnis der Musik? Im Tiefsten ist sie nichts anderes als eine Reflexion der Verschränkung von Raum und Zeit
.
APOLLON
Du weißt warum ich dich
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