Die Laute (German Edition)
nichts Beschämenderes auf der Welt gibt als die katastrophalen Auftritte ihrer Nationalmannschaft.
Andererseits gibt es hier ja nichts anderes zu lieben als die eigene Familie oder den Ort der Herkunft und vielleicht noch den einen oder anderen Freund, dem man so wenig die Wahrheit sagen darf, wie allem anderen hier, das man liebt, lieben muss oder zu lieben vorgibt.
Ja, die Direktorin hat ihm die Schuluniform erlassen, die die jungen Schüler tragen müssen. Doch an diesem Morgen bittet Asis seinen Zimmergenossen, ihm eines seiner ockerfarbenen Hemden und eine schwarze Hose zu borgen. Said blickt ihn ungläubig an. Asis solle doch froh sein, dieses triste unmodische Zeug nicht tragen zu müssen. Was gäbe er, Said dafür, diesen schlammfarbenen Plunder den Frauen zum Putzen überlassen zu können. Aber an seiner Schule gebe es leider keine Altersgrenze.
Als Asis in diesen uncoolen Klamotten die Klasse betritt, brechen die Kameraden in einen gebäudeerschütternden Jubel aus. Für einen kurzen Moment zweifelt Asis, ob er wirklich das Richtige tut.
Der jemenitischen Jugend ist es nicht erlaubt, unglücklich zu sein. Aber sie ist es natürlich, weil sie inzwischen weiß, dass das Leben auch anders sein kann; an anderen Orten anders ist und es für andere Jugendliche offenbar eine Wahl gibt, die man ihnen im Jemen nicht lässt.
Nach dem Ende des Unterrichts bleibt die ganze Klasse zusammen, zwölf Schüler. Das muss reichen, denkt Asis. Er ahnt, dass die Bewunderer von Faisal, genannt Milh, und seinem Hofhund Abdullah nur das Publikum darstellen, aber nicht unbedingt auch Kampfgefährten sind.
Geschlossen gehen sie auf den Pausenhof hinaus, der sich langsam leert. Milh und Abdullah lungern am Schultor herum, einige ihrer Klassenkameraden stehen in der Nähe und warten ab, ob es auch heute noch eine kleine Vorstellung geben wird.
Trotz seiner Wut auf diese beiden Schläger weiß Asis, dass nicht Faisal und Abdullah das eigentliche Problem sind, sondern diese unsichtbaren Grenzziehungen, nicht nur auf dem Pausenhof, sondern überall in der Stadt und in den Köpfen. Doch bevor er über dieses tiefere Problem nachdenken kann, muss zunächst die Tyrannei dieser beiden Halunken beendet werden.
Asis geht zum Tor und schließt es. Dann dreht er sich um und mustert Milh. Abdullah ignoriert er.
Milh starrt zurück, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Abdullahs Gesicht blickt kalt und verschlagen.
»Du bist neu hier?« – Als Asis nicht antwortet, fährt Milh mit herausfordernder Miene fort: »Was willst du?«
Asis gibt seinen Klassenkameraden ein Zeichen. Zögernd bilden sie einen Kreis um Asis und Milh. Einige der Hörenden aus Faisals Klasse mischen sich unter sie.
»Auch taub?«, fragt Milh lächelnd. »Wenn nicht, dann wirst du es gleich sein!«
Asis’ Wut weicht einem anderen Gefühl, das ihm neu ist und für das er kein passendes Wort findet. Ein Gefühl, das ihn an das erkaltete Magma erinnert, das die Stadt umgibt, schwarz und hart und gnadenlos. Er versteht genau, was Milh ihm sagt, liest es ihm von den Lippen ab und mehr noch von den Augen. Es ist ätzend wie die Säure, die ihm Nassar in die Ohren gegossen hat. Nur dass sie nun bereits taub sind und gefühllos wie Vulkangestein.
Dann denkt er an den Blitz. Der Blitz, der ihn fast getötet hätte, aber auch etwas von seiner Kraft in ihm hinterließ. Als Milh plötzlich auf ihn zurast, kommt der Angriff nicht überraschend. Asis hat zwar lange nicht mehr auf dem Spielfeld gestanden, aber verloren hat er seine Wendigkeit nicht. Er weicht Milhs Schlag in Richtung seines Kehlkopfs aus und versetzt ihm mit seiner Faust einen harten Hieb auf das rechte Ohr. Er spürt diesen Schlag an jeder einzelnen Bruchstelle in seinen Fingerknochen aufflammen, doch ehe Milh begreift, was ihm wie ein stumpfer schwarzer Blitz durch den Kopf schießt, setzt Asis nach und lässt seine Faust auf Milhs linkes Ohr niederschmettern. Milh taumelt. Und der Schmerz in Asis’ Hand raubt auch ihm für einen Augenblick die Kontrolle.
Abdullah tritt aus dem Ring der Zuschauer. Ihm ist so wenig wie den Klassenkameraden Asis’ kurzzeitige Schwäche entgangen. Er stellt sich neben Milh und blickt Asis mit schmalen hasserfüllten Augen an. Dann zieht er ein Messer hervor, kein Taschenmesser, sondern ein Jagdmesser mit starrer scharfer Klinge.
Asis tritt einen Schritt zurück, unter den Zuschauern breitet sich Unruhe aus, der Kreis löst sich auf, und plötzlich stehen alle zwölf
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