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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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wird zum Schiedsrichter ernannt. Statt Trillerpfeife benutzt er ein rotes Fähnchen. Da er den Sinn der meisten Regeln nicht recht einsieht, greift er nur bei offensichtlichen Fouls und bei Torentscheidungen ins Spiel ein. Asis ist schon froh, wenn seine Mannschaft überhaupt auf das richtige Tor stürmt.
    Nicht jeder tritt den Ball mit der Fußspitze. Ja, sie sind schnell und wendig und haben ein ausgeprägtes Körpergefühl, aber der Ball ist ihnen fremd, und die Versuchung, ihn einfach in die Hand zunehmen, anstatt ihn zu treten, ist groß.
    Eigentlich müsste man für sie ein eigenes Ballspiel erfinden, ein Spiel mit der körperlichen Entfaltungsmöglichkeit von Rugby und der tänzerischen Anmut von Basketball.
    Die meisten Mannschaftsmitglieder stammen aus seiner Klasse, dazu vier aus dem nächsten Jahrgang, doch auch sie sind noch ein oder zwei Jahre jünger als er. Trainiert wird von nun an jeden Tag direkt nach dem Unterricht auf ihrer Hälfte des Pausenhofs, so lange es die Adener Nachmittagshitze ihnen erlaubt.
    Nach einer Woche bleiben auch immer mehr Zuschauer länger auf dem Schulgelände, um ihren Fortschritten zuzusehen, sie anzufeuern oder als Gegenspieler anzutreten. Es ist, als verbreite sich an der Schule ein neuer, bisher unbekannter Virus. Von Tag zu Tag steigt das Fieber.
    Ich war, bis auf das unselige eine Mal als junger Schüler in Aden, nie mehr in meinem Leben betrunken. Nicht aus religiösen Gründen, sondern einfach deshalb, weil ich Alkohol nicht besonders gut vertrage. Wahrscheinlich fehlt mir, wie den Indianern, irgendein Enzym zur raschen Alkoholverbrennung.
    Und auch in dieser Nacht hatte ich nicht die Absicht, mich zu betrinken, als ich zwei Flaschen Rotwein vom Buffet für den vorgesehenen Empfang nach der Bekanntgabe des Gewinners nahm und damit in den herbstlichen Park der Willa Desziusa spazierte. Ich ging nicht weit, eigentlich nur bis zur nächsten, im Dunkeln versteckten Bank, direkt hinter dem Parkplatz. Dort öffnete ich die erste Flasche, indem ich ihr an der Holzlehne den Hals abschlug.
    Vielleicht hat ja irgendjemand diese ominösen K.o.-Tropfen hineingekippt, vor denen man immer wieder gewarnt wird. Jedenfalls ist die Flasche noch halbvoll, als ein dichter schwarzer Vorhang vor meine Erinnerung fällt.
    Als mich schmerzhafte Schläge ins Gesicht in die Welt des Bewusstseins zurückholen, liege ich in meinem geliehenen und nun zerknitterten und rotweinfleckigen Anzug, aber ohne Schuhe auf der harten Parkbank, und zu den brennenden Wangen gesellt sich ein stechender Schmerz im Nacken und zwischen den Schultern. Ich richte mich mühsam auf und werde das Gefühl nicht los, jemand habe in meinem Schädel eine schmutzige Bombe platziert. Der Zeitzünder tickt, zählt die Sekunden abwärts und nähert sich rasend schnell der Null.
    Ich taste nach meinen Schuhen, vergeblich. Jetzt erst öffne ich die Augen. Das Paar, das auf dem raureifbemoosten Parkweg vor mir steht, sieht meinen schwarzen Halbschuhen ähnlich, doch der uniformierte Mann, der aus ihnen herauswächst, gleicht mir schon weniger. Nun leuchtet er mir ins Gesicht, und die schmutzige Bombe aus spitzgefeilten Schrauben, Milzbranderregern und Plutoniumschrott explodiert in meinem Kopf. Ich muss laut aufgestöhnt haben, denn er gibt die Lampe einem Kollegen, der bisher nur rauchend dastand und auf meine nackten Füße starrte, und packt mich an den Schultern. Ich weiß nicht, was die beiden Polizisten hier zu suchen haben. Ich habe sie sicher nicht gerufen. Ich kann mir nicht eine einzige Situation vorstellen, in der ich nach ihnen rufen würde.
    Mag sein, sie sagen oder fragen etwas, doch ich erkenne ihre Gesichter nur undeutlich, und obwohl der Mund des einen mir nun so nahe ist, dass ich noch sein Mittagessen vom Vortag rieche, erkenne ich nicht, was sie von mir wollen. Ich sehe die herrischen Gesten des einen, die gleichgültigen des anderen. Eigentlich sehe ich sie nicht richtig. Es ist einfach etwas, das sich vor meinen Augen abspielt. Das einzige Ergebnis dieser unverlangten Nähe ist, dass ich mich übergeben muss.
    Mit dem Magen beruhigt sich auch der Aufruhr im Kopf ein wenig. Ich sehe, wie der Raucher mit der Taschenlampe auf die Schuhe seines Kollegen leuchtet und grinst. Der Typ gefällt mir nicht. Er hat die weiße, fettglänzende Haut träger Menschen, auch wenn er im Gesicht mager und bis auf die Fingerrücken schwarz behaart ist. Dann trifft mich der Lichtstrahl wieder direkt ins Gesicht, sodass ich

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