Die Lautenspielerin - Roman
nichts dagegen, dass wir Euch hierher gebracht haben.« Lady Dousabella musterte sie prüfend und stand auf. »Die Farbe kehrt in Eure Wangen zurück. Doch wenn wir schon einen Arzt im Haus haben, soll der noch einmal nach Euch sehen, bevor Ihr Euch wieder zu uns gesellt.«
»Aber ich bin nicht, es schickt sich nicht …«, protestierte sie schwach und sehnte sich gleichzeitig danach, ihn zu sehen. Er war hier! Doch ein düsteres, bedrohliches Bild drängte sich nach vorne. Das Gesicht von jemandem, den sie aus ihrem Leben verdrängt hatte.
»Glaubt mir, es hat alles seine Ordnung.« Lady Dousabella zwinkerte ihr zu und zog an einer Kordel, die neben dem Bettpfosten hing. Augenblicklich erschien ein Diener. »Bitte den Medicus zu uns«, sagte die Lady.
Gegenüber dem Bett brannte ein Feuer im Kamin, denn noch waren die Nächte kalt und feucht. Eine Öllampe und ein mehrarmiger Kerzenleuchter ließen erahnen, dass die Wände des geschmackvoll dekorierten Raumes mit cognacfarbenen Stoffen bespannt waren. Ein orientalischer Teppich dämpfte die Schritte des Dieners und ließ auch den Medicus lautlos eintreten. Lady Dousabella drückte ihm im Vorbeigehen die Hand und verschwand durch einen Vorhang, hinter dem sich eine weitere Tür befand.
»Gerwin«, flüsterte Jeanne und streckte langsam die zitternden Hände aus.
Es bedurfte nur dieser Geste, um Gerwin an ihre Seite zu bringen. Er nahm sie in die Arme und drückte sein Gesicht in ihre Haare, um ihren Duft in sich aufzusaugen. »So lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet. So lange …«, murmelte er.
Jeanne fühlte, wie sich Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervorstahlen, doch dieses eine Mal waren es Tränen des Glücks. Sie legte den Kopf zurück, um ihn ansehen zu können. Fast ein Jahr war seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Er trug einen kurz gestutzten Bart und die Haare schulterlang. Seine Züge waren härter geworden, eine tiefe Linie hatte sich zwischen den Brauen eingegraben, doch in den dunklen Augen lag noch immer diese unergründliche Mischung aus Wissen, Stolz und Verletzlichkeit. Zu weiteren Betrachtungen kam sie nicht, denn seine Lippen legten sich sanft auf ihre und ließen sie alles andere vergessen.
Als sie wieder gleichmäßiger atmete, lehnte sie sich zurück, hielt seine Hände jedoch fest umschlungen. »Ich hätte Euch geschrieben …«, begann sie und hielt inne.
»Lady Dousabella hat mir erzählt, dass Ihr Mutter geworden seid«, brach Gerwin das eintretende Schweigen.
Ihre Lippen wurden schmal, und sie zog ihre Hände zurück. »Darüber möchte ich nicht sprechen.«
Gerwin betrachtete sie voller Mitgefühl. »Wir haben beide viel erlebt, und es gibt Dinge, über die es zu sprechen lohnt, und Dinge, die nur Schmerz verursachen.« Zärtlich strich er ihr eine Locke aus der Stirn. »Wenn Ihr wollt, sehen wir den heutigen Tag als Anfang.«
Sie lächelte. »Ein Anfang ist etwas Hoffnungsvolles.« Seine Nähe war verwirrend und löste die widersprüchlichsten Gefühle in ihr aus, doch hier war weder die Zeit noch der Ort, ihnen nachzugeben. Als er sich vorbeugte, legte sie sanft die Hände gegen
seine Brust und spürte seinen Herzschlag. Unter Aufbringung all ihrer Willenskraft sagte sie: »Nicht, Gerwin. Die anderen wissen, dass wir allein sind, und es wäre unschicklich …«
Es fiel Gerwin schwer, sie nicht zu berühren. »Ich werde Euch das Kammermädchen der Lady schicken, damit sie Euch beim Ankleiden hilft, denn so, wie Ihr ausseht, führt Ihr einen Heiligen in Versuchung.«
Jeanne schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Und dann erzählt Ihr mir alles, was Euch widerfahren ist!«
Kaum war sie allein, kehrte die Angst zurück, und als sie wenig später mit gerichteter Garderobe im Salon erschien, drückte sie die Hände gegen das Mieder, um nicht wieder in Ohnmacht zu fallen. Neben Lady Dousabella stand ein eleganter Mann von ebenmäßigem Wuchs mit einem Gesicht, das einer griechischen Statue gleichkam. Er war in ein vertrautes Gespräch mit Gerwin vertieft. Hatte sie ihn nicht am Dresdner Hof gesehen? Doch dann wanderte ihr Blick zu dem älteren Mann, dessen Gesicht abgewandt war. Sein Anblick ließ ihr den Atem stocken. Der Grauhaarige musste im Alter ihres Vaters sein und trug die außer Mode gekommene Kleidung eines Landadligen aus dem Süden Frankreichs. Das konnte nicht sein! Er würde es nicht wagen! Gerwin bemerkte ihre Unsicherheit, eilte zu ihr und reichte ihr den Arm. »Was ist mit Euch? Wollt Ihr
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