Die Lautenspielerin - Roman
unerbittlich. Gerwins Blick glitt über die erschöpften und ausgezehrten Soldaten, die sich für eine kurze Rast am Rande eines Waldes niedergelassen hatten.
»Wie lange soll das noch so gehen?«, murmelte Gerwin. Seit er Paris vor einem Monat ohne Seraphin verlassen hatte und auf den kläglichen Truppenrest der Hugenotten in der Nähe der Loire-Quellen getroffen war, stellte er sich täglich diese Frage. Er sehnte sich nach Jeanne, die ihm bei ihrer letzten Begegnung quälend nah und doch unerreichbar fern gewesen war. Sich versteckte
Blicke zuzuwerfen war ihm nicht mehr genug. Er wollte sie in die Arme nehmen und ihre zarte weiße Haut mit den Lippen berühren. Die Vorstellung, dass ihr Ehemann, der sie nicht liebte, sie haben durfte, machte ihn unsagbar wütend. Dieser bigotte Hugenotte, der sich für heiliger als heilig hielt und nicht wusste, was wahrhaftige Liebe bedeutete!
Hippolyt kam schweren Schrittes auf ihn zu und verstaute einen Salbentopf in seiner Tasche. Seufzend ließ er sich neben ihm im feuchten Gras nieder. »Wenn sie nicht durch Schwerter oder Kugeln sterben, dann durch den Hunger und den Mangel an frischem Gemüse.«
Die beiden Ärzte hatten in den letzten Tagen selbst kaum genug zu essen bekommen. Beide trugen struppige Bärte, und ihre Kleidung war zerschlissen und starrte vor Dreck. Gerwin kratzte sich am Kopf. »Verfluchte Läuse. Hast du dir den langen Württemberger angesehen? Die Beulen am Hals wachsen und scheinen sich zu vermehren.«
Der lange Württemberger war der Spitzname eines Söldners, dessen Körpergröße und Muskelkraft beeindruckten, doch selbst dieser unverwüstliche Kerl musste vor den Folgen des Hungers kapitulieren.
»Ich weiß, aber ich schneide sie nicht auf. Sein Blut ist unrein, und es würden nur neue entstehen. Ich habe so etwas oft während des Krieges in Rumelien erlebt.« Hippolyt rupfte einige Halme aus. »Iss das. Wilde Kräuter. Ein Wunder, dass überhaupt noch welche zu finden sind. Die Soldaten haben den Bauern bereits alle Wurstvorräte und zwei Milchkühe gestohlen. Das kann nicht gut enden!«
Der armselige Haufen, der die Bezeichnung Truppe kaum verdiente, bestand aus verarmten Bauern, abenteuerlustigen Landadligen, Rittern und Söldnern, die nichts mehr zum Plündern fanden und sich deshalb wieder einem Heer anschlossen.
Als das Signal zum Weiterziehen kam, ließen Gerwin und Hippolyt
sich Zeit. »Wohin geht es jetzt? Ich habe nicht den Eindruck, dass Coligny genau weiß, was er tut.«
Hippolyt hüstelte, und Gerwin sah sich erschrocken um. Er hatte Heinrich von Navarra nicht kommen hören. Der Prinz hatte sich im Wald erleichtert, schnürte sich den Hosenlatz zu und stand nun neben ihnen. Sein ernsthaftes Jungengesicht verriet keinen seiner Gedanken. »Messieurs«, sagte er bedächtig und kratzte sich den Bart. »Verratet mich nicht, doch ich denke wie Ihr. Der Admiral ist ein großartiger Anführer, doch diese ziellosen Streifzüge, die uns nichts als Verluste bringen, scheinen mir ein Ausdruck verzweifelten Fanatismusses.« Der sehnige junge Mann streckte das Kreuz. »Ich sehe dies als eine Art Prüfung an. Wenn wir das hier überleben, können wir alles erreichen.« Mit einem Finger tastete er nach seiner Halsbeuge, in der eine dunkelrote Narbe sichtbar war. »Dank Euch für Eure saubere Arbeit. Diese leidigen Furunkel sind qualvoll, aber Ihr habt sie entfernt, ohne dass ich Schmerzen hatte.«
Hippolyt, der sich ebenfalls erhoben hatte, neigte dankend den Kopf. »Wir tun, was in unseren Kräften steht.«
Navarra musterte die beiden Ärzte prüfend. »Ihr könntet ein Vermögen machen, wenn Ihr Euch in einer hübschen reichen Stadt niederlassen würdet. Warum nehmt Ihr diese Strapazen auf Euch? Und sagt nicht, es wäre unseres Glaubens wegen. Ich habe Euch während der Gebetsstunden, die der Admiral regelmäßig abhalten lässt, beobachtet. Ihr hört nicht hin.«
»Oh, aber das ist nicht wahr! Mit dem Herzen sind wir dabei, doch gehört unsere ganze Aufmerksamkeit den Leiden des menschlichen Körpers«, versicherte Hippolyt eilig.
»Und der Mensch leidet an vielem, immerzu. Nun, ich bin froh, dass Ihr Euch diesem Feldzug angeschlossen habt. Aus welchen Gründen auch immer«, fügte Heinrich von Navarra mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu und ging zu seinem Pferd, das ihm zugeführt wurde.
»Was war denn das?«, stieß Gerwin leise hervor.
»Eine Warnung, Gerwin. Eine Warnung.« Hippolyt griff nach seiner Tasche und wandte sich zum
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