Die Lautenspielerin - Roman
du begreifst, was Hass anrichten kann.« Er sah seinen jungen Freund an. »Wie Hass aus einem selbst ein Monster machen kann.«
Nervös umklammerte Gerwin die Zügel. Der Abstand von den vor ihnen laufenden Soldaten wurde größer, und der Nieselregen senkte sich wie ein Vorhang dazwischen.
»Ignazius hatte Helfer, aber das waren dumme junge Novizen ohne finanziellen oder familiären Hintergrund, die sich einen Karrieresprung erhofften, indem sie sich zu seinen Schergen in seiner privaten Folterkammer machen ließen. Der Teufel hatte eine Vorliebe für die ganz Schmächtigen unter uns Jungen. Sobald wir eine gewisse Größe erreichten und die Behaarung im Gesicht und an den Genitalien einsetzte, verlor er das Interesse. Ich war nie ein hübsches Kind, im Gegensatz zum armen Jerg. Er hatte das Gesicht eines Engels und einen wohlproportionierten Körper. Wir kamen im selben Jahr ins Kloster von Metten.«
Hippolyt schwieg eine Zeit lang, bevor er mit rauer Stimme fortfuhr: »Ignazius war von der Natur mit einem riesigen Geschlecht ausgestattet, einem Gemächt, das einem Bullen Ehre gemacht hätte. Doch es gehörte einer Bestie, die damit das Innere zarter Jungenkörper quälte, zerriss, blutig stieß und demütigte, bis man sich nur noch den Tod wünschte. Es gab einige mysteriöse Unfälle, bei denen Jungen ihr Leben ließen und rasch und ohne Aufsehen bestattet wurden. Den Eltern wurde irgendeine Geschichte aufgetischt. Der Vater Abt war ein großartiger Märchenerzähler.
Jerg hatte das Bett neben mir, und er war wie ein Bruder für mich. Als er wieder einmal blutig, mit eingerissenen Mundwinkeln und sich kaum auf den Beinen halten könnend zurückgebracht wurde, beschloss ich, dass etwas geschehen musste. Anderenfalls hätte Jerg sich umgebracht, oder er wäre im Keller der Bestie gestorben.« Hippolyt warf Gerwin einen kurzen Blick zu. »Hier kommen Hinrik und Walter ins Spiel. Sie hatten dasselbe durchgemacht, waren aber zwei Jahre älter als wir und von robusterer Konstitution. Auch zu ihrer Zeit hatte es einen Jungen wie Jerg gegeben, welcher der unglückselige Liebling des teuflischen Bibliothekars wurde und sein Leben gelassen hatte. Nun, ich stellte Jerg vor die Wahl - durch weitere Folter langsam sterben oder den Teufel vernichten. Wir vier Jungen von zwölf und vierzehn Jahren verschworen uns, die Bestie von Metten zu töten. Es war nicht schwer, Ignazius mit Jerg als Lockvogel an einen abgelegenen Ort im Klostergarten zu bringen. Dort hatten sich Hinrik und Walter versteckt. Sie haben Ignazius, der geifernd vor Lust auf den scheinbar willigen Knaben war, von hinten mit Steinschlägen auf den Kopf betäubt. Aber was wir dann getan haben, Gerwin, das machte uns so niedrig wie unseren Peiniger. Wir haben diesen Körper auf alle unvorstellbaren Arten geschändet, erstaunt darüber, was man in den Anus eines Mannes stopfen kann. Irgendwann war kaum noch Leben in ihm, und wir ekelten
uns vor uns selbst. Er wimmerte noch, als wir ihn gemeinsam zum Brunnen schleppten und hineinwarfen.«
Stumm ritt Gerwin neben seinem Freund und Meister. Auf einen Mord aus Notwehr war er gefasst gewesen, aber nicht darauf. Der Weg führte einen Hügel hinauf, rechts und links stand dichter Mischwald.
»Wir sahen Ignazius zum letzten Mal, als sie ihn aus dem Brunnen holten, mit grünem Schlamm überzogen, aus seinem Schlund kroch Getier. Dieser Anblick verfolgt mich noch heute in meinen Träumen, Gerwin. Der Teufel war zwar tot, aber jetzt hatte ich einen Teufel mit Namen Schuld in mir, und er peinigte mich Nacht für Nacht, legte sich auf meine Brust wie ein schwerer Felsblock, ein Alp, der mir die Luft abschnürte.« Hippolyt räusperte sich. »Wir vier Jungen schlossen in der Nacht unserer Rache einen Pakt, den wir mit unserem Blut besiegelten. Niemals würden wir verraten, was geschehen war, niemals würden wir einen der Unseren im Stich lassen. Wir verschrieben uns der Gerechtigkeit und …« Hippolyt hielt inne und starrte nach vorn, wo die Soldaten zum Stehen gekommen waren.
»Was ist da los?«, rief Gerwin, als Hinrik auf sie zusprengte.
»Ruhe! Um Himmels willen, seid leise! In der Ebene lagert das königliche Heer«, sagte der Hauptmann, während er sein Pferd neben ihnen zum Stehen brachte.
Die Soldaten hatten sich ebenfalls umgewandt und marschierten eilig den Weg zurück, den sie gekommen waren.
»Und was wird nun?«, fragte Gerwin.
»Wir schicken Späher aus, um festzustellen, wie stark das Heer ist. Es
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